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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman
Autoren: Charlotte Lyne
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ab und wusste, dass er es nicht aushielt, dass er hier mit ihnen liegen bleiben würde, bis einer kam und ihm in den Rücken schoss. Sie töten Glencoe. Sie tilgen Glencoe aus der Welt. Mein Vater hat umsonst seine Ehre gegeben; mein Vater hat umsonst geweint. Sie sollen mich töten. Ich will’s nicht länger aushalten.
    Er drehte sich zur Seite, um Angus an sich zu ziehen. Der Sturm hielt inne, und dann hörte Sandy Og die Stimme, winzig klein, verweint und vor Angst zitternd, aber unverkennbar. »Vater.«
    Im nächsten Augenblick hielt er sein Kind in den Armen, als sei es wieder ein Neugeborenes, das nichts wog und in seinen Armen versank. Und wie an dem Tag, an dem das Kind geboren war, hielten zwei Hände die Welt an und formten ein Dach über Duncan und Sandy Og.
    Als sich die Welt wieder rührte, wusste Sandy Og, dass sie keine Zeit mehr verlieren durften, dass sie leben mussten, obgleich Sterben leichter war. Die Soldaten, die brennend und mordend zum nächsten Haus weiterzogen, würden wiederkommen, und hinter der Biegung des Flusses waren Glenlyon und seine Leute – dort, wo sein Haus stand, wo Jean und Sarah schliefen.
    Er stand auf. Duncan weinte lauter, wollte sich an Angus’ Körper festhalten und schrie den Namen des Freundes, aber Sandy Og riss seinen Sohn brüsk von dem Toten los. Tat ihmweh. Wir müssen leben, Duncan. Uns hart wie Steine machen und leben, sonst sind die, die nicht mehr leben, umsonst gestorben.
    John kniete im Schnee und schrie. Sandy Og brauchte nicht näher heranzugehen, um zu wissen, dass das dunkle, halb zugeschneite Bündel, das vor ihm lag, sein Vater war. Hart wie Steine, Duncan! Er hielt den Jungen fester. Etliche Schritte weiter, im Rauch, der aus der Tür quoll, lag eine weitere Gestalt – eine Frau, der sie alle Kleider heruntergerissen haben mussten, die bis auf einen Fetzen um den Hals nackt war. Sie bewegte sich noch. Sandy Og lief zu ihr, hielt mit einem Arm Duncan fest und warf mit dem anderen sein Plaid um sie. Der erste Versuch, sie hochzuheben, scheiterte.
    »Lass mich liegen.« Sie stöhnte.
    »Ich lass dich nicht liegen, Mutter.« Hart wie Steine. Hinter der Biegung schlafen Jean und Sarah. Seine Mutter würde es ohnehin nicht schaffen, selbst wenn es ihm gelang, sie samt seinem Jungen davonzuschleppen, sie war halb erfroren und würde nach den ersten Schritten sterben. Aber sie war nicht tot. Und Sandy Og war kein Stein. »John«, brüllte er, »John, wir brauchen dich hier!«
    Als er sich mit Duncan zu ihr beugte, krallte sie eine Hand in sein Hemd. Er zog das Plaid höher, über das Blut, das ihr die Brust verschmierte. Nicht ihr eigenes Blut – soweit er sehen konnte, war sie nicht verwundet. »Nicht mich!«, keuchte sie. Er brachte sein Ohr so nah wie möglich vor ihren Mund. »Nicht mich. Hol Una!«
    Angus’ Schwester ist noch im Haus!
    Duncan begann zu zappeln, Sandy Og konnte ihn mit dem einen Arm nicht länger halten, und das Kind befreite sich. »Ich kann stehen, Vater«, beteuerte die kleine Stimme.
    Sandy Og stürmte ins Haus.
    Die Zwischendecke hatte schon Feuer gefangen, war aber nicht durchgebrochen, versperrte nicht den Weg. Dank des Schnees, dank des Windes, dank der herausgerissenen Tür wardurch den beißenden Qualm noch ein Durchkommen. »Una!«, brüllte Sandy Og aus vollen Lungen, musste husten und konnte nicht noch einmal brüllen. Vielleicht hörte er gar keine Antwort, sondern lief dorthin, wo er sich als Kind vor dem Stock seines Vaters versteckt hatte: unter die Stiege. Das war ein gutes Versteck, weil keiner glaubte, dass man sich klein genug machen konnte, um dort hineinzupassen. Das Mädchen trug nur ein Nachthemd, und er hatte nichts mehr, in das er es hätte wickeln können. Er hielt es fest und trug es hinaus in die Kälte.
    John kniete noch immer bei der Leiche des Vaters, warf den Oberkörper auf und nieder und heulte Himmel und Erde an. Sandy Og wusste, was in ihm vorging, denn er hatte es gerade selbst erlebt. John würde bleiben und mit dem Vater, der seine Welt gewesen war, sterben wollen. Aber Sandy Og brauchte ihn – nicht nur, um die Lebenden in Sicherheit zu tragen, nicht nur, um Sarah und Jean, um Eiblin und ihre Kinder zu retten. Ich brauch dich, damit kein Ende ist! »John!«, brüllte er noch einmal, schon gewiss, dass es ihm nichts nützte. Etwas in ihm wollte Duncan packen und losrennen, zu Sarah und Jean. Wenn du das hier schaffst, gelobte er sich, und wenn Sarah nicht mehr da ist, kannst du sterben.
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