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058 - Sub Sisco

058 - Sub Sisco

Titel: 058 - Sub Sisco
Autoren: Bernd Frenz
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Einen Kranken zu berühren, der von den schwarzen Blättern zerfressen wurde, galt als weit weniger gefährlich denn einen Blick auf die verfallenen Fassaden zu werfen. Trotzdem segelte an jenem denkwürdigen Sommertag ein Dutzend Boote die Küste hinauf, um die vom Meer umspülten Türme noch vor Einbruch der Nacht zu erreichen.
    Es war nicht der Wagemut, der ihre Besatzungen auf diesen Kurs führte. Im Gegenteil.
    Die Menschen an Bord waren ein geschlagener Haufen, der sein Heil in der Flucht suchen musste. Gesenkten Hauptes drängten sie sich auf den überladenen Kähnen. Froh, ihr nacktes Leben gerettet zu haben, und doch von der Furcht erfüllt, dass noch weit Schlimmeres sie erwartete als die Gefahren, denen sie gerade mit knapper Not entkommen waren.
    Männer, Frauen und Kinder - ihnen allen stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben.
    Nicht einmal die Kleinsten wagten die leidvolle Stille durch quengelndes Geschrei zu durchbrechen. Beinahe so, als ob bereits der kleinste Laut jene auf ihre Spur locken könnte, denen sie so verzweifelt zu entkommen suchten. Die Steppenreiter.
    Dabei waren die grausamen Barbaren aus dem Inneren des Landes noch immer damit beschäftigt, ihre geliebte Stadt zu plündern und zu brandschatzen.
    Clay packte die Pinne des Heckruders fester und warf einen Blick über seine Schulter zurück. Die Rauchsäulen, die den Ort des Überfalls weithin sichtbar markierten, ließen sich schon seit der Mittagszeit nicht mehr ausmachen. Trotzdem meinte er noch immer die Schreie von Männern und Frauen zu hören, die lebend in die Hände der blutrünstigen Horde gefallen waren. Das Geschick der Steppenreiter, einen Gemarterten nicht nur über Tage am Leben, sondern auch bei Bewusstsein zu halten, war an der Küste wohl bekannt.
    Welch grausamen Gott mochte Mont Reyy nur diesen Schicksalsschlag zu verdanken haben?
    Ihre Siedlung, aus den Ruinen einer alten Stadt entstanden, war die Größte und Schönste entlang der Küste gewesen. Das Meer hatte die Fischer so gut ernährt, dass selbst Händler aus El'ay zu ihnen kamen, um regelmäßig große Ladungen Stockfisch für die hungrigen Mäuler ihres Tals an Bord zu nehmen. Mont Reyys Reichtum war so groß, dass es sich die Fischer sogar leisten konnten, die verbotenen Gewässer zu meiden, in denen die Fishmanta'kan hausen sollten.
    Doch wer in diesen dunklen Zeiten satt zu essen hatte, erweckte bald den Neid jener, die weniger besaßen.
    Es war wohl nur eine Frage der Zeit gewesen, bis aus der Steppe jenseits des San'andra-Sees mehr kam als nur Wagenladungen voller Salz, mit denen sie ihren Fang haltbar machten. In den vergangenen Sommern hatten Mont Reyys hohe Mauern bereits mehrfach den wütenden Attacken anstürmender Truppen standhalten müssen, doch diesmal war den Fischern nicht einmal genügend Zeit geblieben, um eine Gegenwehr zu formieren. Die Stämme der Steppe hatten sich zu einer riesigen Streitmacht vereinigt, die bei Morgengrauen mit Hunderten von Frekkeuschern über die Stadtdächer hinweg gefegt war. So mancher schlaftrunkene Einwohner, der durch einen Alarmschrei geweckt wurde, sah nur noch kalten Stahl auf sich niederfahren, bevor er ins Reich der Schatten einging.
    Keiner, der vor die Tür seiner steinernen Hütte trat, entkam den gnadenlosen Häschern.
    Nur jene, die auf den hölzernen Pfahlbauten im Hafen lebten, weil sie sich keinen Landplatz innerhalb der Stadtmauern leisten konnten, waren nahe genug bei den Booten, um noch die schützende See zu erreichen. Alles was sie dabei retten konnten, war ihr nacktes Leben und die wenigen Fetzen, die sie auf dem Leib trugen.
    Doch obwohl sie voller Hast in ihre Boote stürzten, schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis der Wind die Segel spannte und sie übers Wasser aus der Reichweite der Speere und Langbögen trug. Dicht an Bord zusammengedrängt, ohne Rundschilder oder sonstigen Schutz war den Fischern nichts anderes übrig geblieben, als den Geschosshagel hilflos über sich ergehen zu lassen. Vier Männer und eine Frau wurden dabei tödlich getroffen, ein Dutzend anderer trug leichte bis schwere Verletzung davon. Doch es hätte schlimmer kommen können. Etwa, wenn ihre Segel durch Brandpfeile in Flammen aufgegangen wären.
    Obwohl dem Tode knapp entronnen, mochte unter den Geflohenen keine Freude aufkommen. Was nutzte das nackte Leben, wenn alles dahin war, was man sich mühsam geschaffen hatte? Die Freunde, die schützende Gemeinschaft, täglich Brot und eine Wasserquelle feinster
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