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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman
Autoren: Charlotte Lyne
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dabei etwas Geringes und meistens geschieht dabei nichts. Daran, dass Angus gestorben ist, sind die schuld, die ihn ermordet haben.«
    Sarah spürte, wie sehr er weinen wollte, als sein Rücken sich neben ihr verspannte. Sie umklammerte sein Handgelenk, presste einen Finger auf das Pochen des Blutes. »Ruh dich ein bisschen aus«, sagte er noch zu Duncan. »Angus wollte, dass du lebst. Und ich will’s auch.«
    »Und ich«, sagte John, der den Kampf gegen das Weinen verloren hatte. »Und ich, Duncan. Von euch Enkeln des zwölften MacIain sind nicht mehr viele übrig. Ich brauch jeden von euch.«
    »Danke«, murmelte Sandy Og, und Sarah hätte gern dasselbe gesagt.
    »Lange können wir hier nicht bleiben«, sagte John. »Oder die Leute erfrieren uns.«
    »Hat dein Junge es warm?«, fragte Sandy Og. »Wir müssen bleiben, bis die Nacht zu Ende ist, und bei Tageslicht nachsehen, ob wir den Weg durch Achnacone wagen können. Wir gehen über die Hänge, nicht durch die Ebene, aber auch das ist nur sicher, wenn dort unten niemand mehr Ausschau hält.«
    »Wohin gehen wir, Sandy Og? Übers Moor?«
    Sarah fühlte, wie ihr Mann den Kopf schüttelte. »Ich binsicher, sie haben die Zugänge abgesperrt. Wir müssen über des Teufels Stiegenhaus.«
    »Das schaffen wir nicht!«
    »Nicht mit den Frauen und Kindern. Wir bringen sie in Sicherheit, gehen über den Pass und holen Hilfe.«
    »Aber wo ist denn Sicherheit? Wo die Mörder nicht sind, erfrieren wir!«
    »In Coire Gabhail«, sagte Sandy Og. »Bei Gormal.«
    Eine Zeit lang schwiegen die beiden. Sandy Og hob Duncan, der eingeschlafen war, in die Höhe, aber Sarah hielt ihn am Ellenbogen fest. Weil sie noch immer kein Wort herausbrachte, sandte sie ihm einen Blick und schüttelte den Kopf. Lass ihn schlafen. Mehr hält er nicht aus.
    »Sandy Og«, sagte John, der noch immer beim Sprechen schniefte. »Ich verstehe jetzt, warum ihr den Eid schwören wolltet, du und Vater. Wovor ihr Angst hattet – auch wenn es umsonst war.«
    »Danke«, sagte Sandy Og wieder. Noch erstickter.
    In der Hoffnung, die Sonne möge den Sturm zähmen und die Sicht verbessern, blieben sie in der Felsspalte, bis es draußen ganz Tag war. Sandy Og bettete Duncan in Sarahs freien Arm und ging, um zu prüfen, wie es in Achnacone stand. »Du rührst dich nicht von hier weg, bis ich wiederkomme«, sagte er zu ihr. »Du bist mein Leben, weißt du das?«
    Sarah nickte.
    Er kam wieder, als die Ersten vor Kälte weinten. Sie sollten sofort aufbrechen, ehe die Soldaten zurückkämen, sagte er. Der Sturm sei unvermindert heftig, aber immerhin nicht so kalt wie in der Nacht. Bis zum Einbruch der Dunkelheit müssten sie den Weg bewältigen, immer in der Deckung der Berge, denn eine weitere Sturmnacht konnten sie nicht überleben.
    Es war hart, sie alle wieder auf die Füße zu treiben. Mehrere bettelten, sie liegen zu lassen, sie könnten nicht mehr gehen undder Tod sei sanft. Sandy Og aber ließ es nicht zu, eine Frau schlug er mit seinem Gürtel, bis sie aufstand.
    Sarah sah sein Gesicht, die Lippen, die er sich zerbiss. Von diesen einunddreißig geben wir keinen mehr her.
    Vor der Spalte hieß der Sturm sie willkommen, drosch in bloße Gesichter, auf gekrümmte Leiber. Bei jedem Schritt hatten sich die Füße aus Schneemassen freizukämpfen und dann eine Steigung zu überwinden, dass die Waden brannten. Und über allem hallte die Frage: Warum? Warum soll ich mich nicht niederlegen und sterben? Ich habe doch keinen Ort, an den ich gehen kann, und von dem, was ich war, ist nichts mehr da.
    Die Zeit verging nicht. Der Weg blieb immer gleich, weiß, kalt, tot, ohne Ende.
    Wieder hatten Sandy Og und John einen Mann in die Höhe getrieben und hatten doch selbst keine Reserven mehr. In einer Senke ließ Sandy Og die Leute halten, wies den steilen Hang hoch und sagte ihnen, dort müssten sie hinauf.
    »Niemals!«, schrie eine Frau und brach in die Knie. Er packte sie, zog sie in die Höhe und brachte seinen Mund an ihr Ohr.
    »Oh doch!«, rief er hinein. »Und dort am Hang nicht schreien. Sag’s weiter, hörst du? Sag’s weiter, ohne zu schreien, und setzt eure Füße ruhig. Lasst euch nicht auf den Boden fallen. Ein lautes Wort, ein Aufprall, und uns holt die Lawine.«
    Sandy Og hatte alles gegeben. Es mochte umsonst gewesen sein wie der Eid, denn das Grau der Dämmerung senkte sich schon, und seine Frau brachte nicht einmal ein einziges Wort heraus. Würde sie je wieder sprechen können? Oder starb die Stimme, wenn
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