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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman
Autoren: Charlotte Lyne
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weidlich aus, ehe er sich zur Seite neigte und die Arme um einen Fichtenstamm schlang. Fiona gab Laute von sich, als hätte sie Rob gern verspeist. Wahrscheinlich wünschte sie, er möge statt des Stammes sie umarmen. Hinter ihm standen die Männer, die nach ihm an die Reihe kommen würden, und begrabschten gegenseitig die Muskeln ihrer Oberarme. Einer aber stand abseits. Er trug ein ledernes Wams auf bloßen Schultern.
    Sarahs Onkel hievte den Stamm vom Stapel, packte ihn und hob ihn über den Kopf. Johlen und Grölen begleitete jede Bewegung, doch als der Stamm über seinem Kopf in der Luft schwankte, wurde die Menge schlagartig still. Als Rob sich hintenüberbeugte, sah Sarah, wie ihm die Beine zitterten, wie sein Gesicht purpurn anlief; mit ihren scharfen Augen sah sie sogar, wie ihm die Ader auf der Stirn schwoll. Der Stamm stand schräg, stak himmelwärts und neigte sich mit jedem Herzschlag schräger. Gleich reißt er den Onkel um, dachte Sarah. Da aber plusterte Rob sich auf und schleuderte das schwere Geschoss mit einem Schrei nach vorn.
    Es schlingerte ein wenig im Flug, verlor vor dem Ende derWurfbahn an Höhe, fuhr nieder und bohrte seine Spitze in die vom Regen aufgeweichte Erde. Prasselnder Beifall setzte ein, während der Onkel sich mit Grazie verbeugte. Man brauchte wahrlich adlerscharfe Augen, um zu bemerken, dass der stolze Herr des Schlosses Meggernie in den Hüften steif und kein junger Mann mehr war.
    Auch als einer von Sarahs Vettern vortrat, der ebenso stämmige wie rotblonde Arthur Campell, ebbte der Applaus für Rob noch nicht ab. Erst nach geraumer Zeit gebot er mit einem Lächeln Einhalt und räumte für den Neffen das Feld. Wind kam auf, riss zwei Hände voll Blätter aus der Krone und spielte damit Kreiseln. Arthur bückte sich nach dem Wurfgeschoss. Er wirft weiter als der Onkel , dachte Sarah, er ist jung und säuft nicht so viel .
    Inzwischen hatte Arthur den Stamm über seinen Kopf gehoben und schleuderte ihn in die Wurfbahn. Selbst einer, der nicht so scharf sehen konnte wie Sarah, hätte bemerkt, dass er nicht mit ganzer Kraft warf. Sein Pfeil kam gut fünf Schritte vor dem des Onkels herunter, noch dazu im falschen Winkel, sodass er sich nicht in den Boden bohrte, sondern polternd aufschlug. Arthur Campell hatte getan, was sich gehörte. Schließlich musste der Onkel das Erbe der Großmutter erhalten; auch wenn sie seinen Namen nie anders als mit hängenden Mundwinkeln ausgesprochen hatte, war er ihr Erstgeborener. Freundlicher Beifall begleitete Arthurs Abgang, während ein neuer Bewerber in die Bahn trat.
    Sarah begann sich zu langweilen, und vor Langeweile begann sie zu frieren. Ohne Zweifel würden es die noch wartenden drei Werfer Arthur gleichtun, und sie konnte nur hoffen, dass sie sich beeilten. Den Fremden im Lederwams hatte Sarah vergessen. Er trat als Fünfter und Letzter vor. Merkwürdig sah der aus, die Arme nackt, das dunkle Tartanplaid achtlos vom Leib gestreift, aber am Bonnet ein Zweig Heide. Gelächter platzte in die kühle Luft, in der ein Rest Herbstsonne kläglich flimmerte.
    »Wer bist denn du?«, rief die kecke Fiona, da erwartet wurde, dass jeder Kämpe sich mit seinem Namen vorstellte.
    »Sandy Og MacDonald aus Glencoe«, murmelte der Fremde, hielt den Blick jedoch gesenkt. Das war unhöflich und zog Rufe des Missfallens nach sich. Sarah aber dachte: Er hat Angst. So wie ich Angst hätte, wenn alle auf mich glotzten.
    Noch immer ertönten Schimpfworte, Grollen und Murren. Die aus Glencoe, hatte Sarah sagen hören, waren Mörder und Diebe, und ihr Tal war das Tal im Schatten, hinter dem Moor, das Nebel verhüllten. Der Mann hob den letzten Fichtenstamm auf. Er tat es mit einer Spur Zärtlichkeit, wie einer ein Lamm aufhob, das sich ins Moor verstiegen hatte. Auf einmal fror Sarah nicht mehr. Der Mann aus Glencoe war ein ziemlicher Klotz und wirkte schläfrig, als er den Stamm in die Höhe stemmte und sich das Bonnet vom Kopf wischte. Sobald er sich aber nach hinten lehnte, sah Sarah ein viel schlankeres Geschöpf vor sich. Wie eine Weide oder ein Schilfhalm bog er sich, wurde zur Sehne, schnellte vor und schleuderte sein Gewicht in die Flugbahn, ehe er den Pfeil freigab.
    Der schien beim Sausen zu pfeifen. Doch Sarahs Blick folgte ihm nicht, sondern hatte sich an dem Mann verhakt, der seinem Geschoss nachblickte, als glaube er nicht recht, dass er es tatsächlich geworfen hatte. Sein Gesicht war rosig vom Wind, und sein wirres Haar glänzte wie dunkles
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