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Giftpilz

Giftpilz

Titel: Giftpilz
Autoren: Stefan Alexander; Ummenhofer Rieckhoff
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psychologischen Einzel- und Gruppensitzungen.
    Einer der größten Vorteile war das Einzelzimmer, befand
Hummel. In den knapp drei Wochen bis zum Einrücken in die Königsfelder
Rehaklinik war seine größte Sorge gewesen, dass man ihn in ein Doppelzimmer mit
jemandem zusammenpferchen würde, der Dauerschnarcher, Schmutzfink, Selbstmörder,
Hypochonder oder gar Psychopath war.
    »Vielleicht gibt’s da ja sogar Drei- oder Vierbettzimmer«, hatte ihn
seine Tochter Martina beunruhigt – sie war die Einzige gewesen, die ihn nicht
mit Samthandschuhen angefasst hatte.
    »Wir müssen Gespräche führen«, hatte ihn hingegen Elke beschworen.
Sich den Schatten der Vergangenheit stellen. Verdrängtes emporbefördern. Ihre
Ehe analysieren. Gemeinsam meditieren. Nur so könne er wirklich ganzheitlich
gesunden – an Leib und Seele.
    Vielleicht hatte die Aussicht darauf den letzten Ausschlag gegeben,
dass Hummel wirklich nicht noch in letzter Sekunde gekniffen hatte, sondern
tatsächlich an jenem schönen Frühherbstmorgen zur Königsfelder Klinik gefahren
war.
    Sein Zimmer war, na ja, zweckmäßig eingerichtet: Bett, Dusche, WC,
Tischchen, Stuhl. Sogar einen Fernseher gab es. Doch dann die grauenvolle
Entdeckung: Das Gerät war nicht freigeschaltet, die Scheibe blieb matt. Aus therapeutischen
Gründen. Seine Versuche, das zu ändern, waren von keinerlei Erfolg gekrönt
gewesen. »Ich bin Lehrer. Ich muss wissen, was draußen in der Welt passiert«,
war sein Argument gewesen. Leider hatte es nichts genützt.
    Abendessen gab es zwischen siebzehn Uhr dreißig und neunzehn Uhr:
fettarmer Käse, Schwarzbrot, Graubrot, Tee, Mineralwasser. »Das gleiche Essen
wie in Alcatraz«, hatte Hummel zu seinem Tischnachbarn gesagt.
    Der ältere Mann im grauen Trainingsanzug, der sich ihm schlecht
gelaunt als Gerd Zuckschwerdt vorgestellt hatte, schaute desinteressiert, hob
verständnislos die Schultern und widmete sich weiter seinem Graubrot. Offenbar
war auch er auf Diät.
    »Das Gefängnis auf dieser Insel in dem Clint-Eastwood-Film?«,
mischte sich Dietrich ein, der Mann mit der Narbe. Hummel nickte. Wenigstens
einer, der einigermaßen auf seiner Wellenlänge war.
    Der Mann mit der Narbe war der Einzige, von dem er sich ganz gerne
duzen ließ. Und der Einzige, dem man zuhören konnte, wenn er sich über seinen
Krankheitsverlauf ausließ. Die Auslassungen waren nämlich meist kurz und bündig – allein schon wegen der Atemnot, die ihn regelmäßig überkam. Hummel hatte
erfahren, dass Dietrich an einem unheilbaren Lungenemphysem litt. »Noch sechs
Monate, meint der Doc.« Dann gab Dietrich wieder seinen trockenen Husten von
sich und zeigte mit seiner rechten Hand eine Kopf-ab-Bewegung.
    Beim Gedanken daran blieb Hummel das ohnehin schon karge Essen fast
im Hals stecken. Schon bewundernswert, wie dieser Mann sich in sein Schicksal
ergab. Im Vergleich dazu ging es ihm ja noch prächtig. Er hatte gewissermaßen
einen Warnschuss bekommen, um sein Leben zu ändern – auch wenn dies nicht so
einfach sein würde. Hoffentlich hatten sich die Ärzte bei Dietrich geirrt: Wenn
es gar keine Chance gab, hätte man ihn doch sicher schon zum Sterben nach Hause
entlassen.
    Der Vierertisch – außer Dietrich, Hummel und Zuckschwerdt gehörte
noch ein fideler Sachse um die sechzig dazu – schwieg vor sich hin.
    »Gebb’n Se mir och ’ne Möhre?«, fragte der Sachse schließlich.
    »Gelbe Rübe! Gelbe Rübe heißt das hier«, belehrte ihn Hubertus
Hummel, worauf eine Diskussion am Tisch entbrannte, bei der die anderen beiden
sich als »Karotten«-Befürworter erwiesen.
    Hummel schüttelte den Kopf. Schlimm genug, dass er das Zeug dauernd
in sich hineinstopfen musste, da es eines der wenigen Nahrungsmittel war, das
ihm in beliebiger Menge erlaubt war.
    »Mahlzeit!«, ertönte es plötzlich, und Hubertus erhielt einen Schlag
auf die Schulter, dass sich seine Herzkranzgefäße meldeten.
    Klaus Riesle! Sein Freund, Lokaljournalist und Mann ohne Manieren.
    »Ich dachte mir, ich schaue mal vorbei, ehe du vor Langeweile
eingehst«, tönte der drahtige Redakteur, der wie immer Jeanshose und -jacke
trug. »War gar nicht leicht, dich in dem Laden hier aufzustöbern.«
    »Entschuldigung, aber wir haben gerade Essenszeit«, bemerkte eine
Schwester, die den unangemeldeten Besuch verscheuchen wollte.
    »Nee, danke – für mich nichts«, parierte der Journalist mit Blick
auf Hummels Portion. »Und das nennt ihr hier Essen? Das ist ja erschütternd!«
    »Sie müssen
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