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Giftpilz

Giftpilz

Titel: Giftpilz
Autoren: Stefan Alexander; Ummenhofer Rieckhoff
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1. WIEDERBELEBUNG
    Sosehr Hubertus sich auch bemühte, er konnte sich nicht bewegen.
Da war nur dieses taube Gefühl in seinen Gliedmaßen, das Pelzige auf seiner
Haut, die von einem kalten Schweißfilm überzogen war. Sein Schädel dröhnte, er
musste auf den Hinterkopf gestürzt sein. Und dieser Schmerz in der Brust … Ein
Überfall? In der beschaulichen Villinger Südstadt, an einem strahlenden
Herbsttag?
    Oberstudienrat Hubertus Hummel lag mit dem Rücken im Gras seines
Gartens in der Vom-Stein-Straße und starrte in den tiefblauen
Schwarzwaldhimmel. Lediglich der kräftige Ast einer Buche mit ihren
rötlich-braunen Blättern ragte in sein Sichtfeld. Ein Stillleben, hätten nicht
leichte Windstöße immer wieder dafür gesorgt, dass die Blätter auf und ab wippten
und sanft raschelten.
    Hubertus hatte keine Ahnung, wie lange er schon so lag. Es mochten
wenige Minuten oder gar Sekunden gewesen sein, doch ihm kam es vor wie eine
halbe Ewigkeit. Vage konnte er sich erinnern, dass er vor dem Sturz bei der
Gartenarbeit gewesen war. Er hatte die Hecken geschnitten, Blätter zusammengerecht,
den Rasenmäher aus der Garage auf die Wiese getragen. Zum Mähen selbst war er
wohl nicht mehr gekommen.
    Er registrierte, dass sein Kopf in einer Lache lag. Wasser? An
diesem trockenen Tag? Nein. Die Wahrheit war offenbar so einfach wie
unangenehm: Blut!
    Je länger Hubertus in dieser starren Position lag, umso mehr
steigerte sich seine Besorgnis. Mehrfach schon hatte er versucht, seine Lippen
zu bewegen. Er konzentrierte sich auf das Wort »Hilfe«. Doch sosehr er sich
auch anstrengte, kein einziger Buchstabe, nicht einmal irgendein Laut wollte
über seine Lippen.
    Wie schwer war er verletzt? Lebensgefährlich? Vielleicht war er ja
sogar schon tot? Womöglich würde gleich ein Film vor seinen Augen ablaufen, wie
es bei Nahtod-Erfahrungen offenbar der Fall war. Na dann: Film ab! Die unbeschwerte
Kindheit in dem beschaulichen Schwarzwaldstädtchen, seine bewegten Jahre an der
Uni in Freiburg, seine Liebe zu Elke, die Hochzeit. Die Geburt seiner Tochter
Martina. Die Rückkehr nach Villingen. Die spannende Zeit mit seinem besten
Freund, dem Lokaljournalisten Klaus Riesle, mit dem er immer wieder seine Nase
in knifflige Kriminalfälle gesteckt hatte. Seine anstrengenden, aber auch
erfüllenden Jahre als Lehrer am Romäus-Gymnasium. Sein fastnächtliches und
heimatkundliches Engagement. Dann die Krisen mit Elke, die Geburt des Enkels
Maximilian und zuletzt die schöne, aber offenbar viel zu kurze Zeit mit seiner
neuen Freundin Carolin.
    Der Film stoppte. Was würde er darum geben, jetzt, in diesem endlos
wirkenden Moment, Carolin zu sehen? Oder Maximilian? Oder wenigstens Elke?
    Doch stattdessen tauchte ein anderes Gesicht über ihm auf. Die
markante gebogene Nase, die aus seiner momentanen Perspektive noch größer
wirkte, war ihm wohlbekannt. Ebenso wie die zurückgestrichenen halblangen
braunen Haare und diese Gutmenschen-Augen, die ihn entsetzt musterten. Der
Anblick löste in ihm Erleichterung und Unruhe aus. Erleichterung, weil ihm
endlich jemand zu Hilfe gekommen war, und Unruhe, weil Hubertus sich so
ziemlich jeden anderen Menschen lieber als Ersthelfer gewünscht hätte als
seinen nervtötenden Nachbarn und Lehrerkollegen Pergel-Bülow, der gerade immer
wieder seinen Namen rief. Vielmehr dessen Koseform, die Hummel hasste und die
er ihm streng untersagt hatte. Doch jetzt konnte er sich kaum dagegen wehren.
    »Huby, Huby – mein Freund, was ist geschehen?«, rief Pergel-Bülow.
Normalerweise fiel es ihm schwer, seine Stimme zu erheben, doch für seine
Verhältnisse erzielte er eine beachtliche Lautstärke. Pergel-Bülow war eher der
sanfte Typ. Was unter anderem daran lag, dass er sich gemeinsam mit seiner Frau
Regine und Hummels künftiger Exgattin Elke schon seit etlichen Jahren in der
esoterischen Szene der Stadt bewegte. Vor allem aber nervte Hummel, dass das
Ehepaar seine penetrante Nächstenliebe bei jeder Gelegenheit zur Schau stellte – vor allem bei ihm.
    Klaus-Dieter Pergel-Bülow hatte gerade seine nachmittägliche
Meditation im Kreise seiner Gartenpflanzen begonnen, als er das Stöhnen
vernommen hatte. So erklärte er es jedenfalls wortreich Hubertus. Zwischendurch
flüsterte Pergel-Bülow immer wieder: »Alles wird gut … Alles wird gut …« Hummel
überlegte für ein paar Millisekunden, ob Sterben nicht doch die bessere
Alternative wäre. Doch natürlich gewann die Panik in ihm die Oberhand, und er
ergab
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