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Giftpilz

Giftpilz

Titel: Giftpilz
Autoren: Stefan Alexander; Ummenhofer Rieckhoff
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ihr eigentlich ging.

5. GRUPPENTHERAPIE
    Morgens um sieben war die Welt noch in Ordnung, aber wenige
Minuten danach ertönte der Wecker. Er kam in Form von Schwester Svetlana, einer
korpulenten Endvierzigerin mit unverkennbar slawischem Einschlag: »Aufstähn,
jungär Mann!«, krähte sie, nachdem sie gegen die Zimmertür geklopft hatte.
»Alles gutt?«
    »Alles suppärr«, konterte Hubertus, der auch ohne Fernseher als
Einschlafhilfe erstaunlich gut geschlummert hatte.
    So »suppärr« lief es allerdings in den nächsten Stunden nicht. An
das etwas monotone Frühstück – das gleiche Graubrot, das gleiche Schwarzbrot,
der gleiche Tee, der gleiche Käse wie beim Abendessen – hatte er sich zwar fast
schon gewöhnt. Und der Termin bei Auberle, dem knochentrockenen Arzt von der
Eingangsuntersuchung, gestaltete sich auch noch ganz positiv, denn das EKG war
einigermaßen in Ordnung.
    Nach Fango und Elektrotherapie allerdings stand erstmals eine
Gruppentherapie auf dem Programm. Und die erwies sich als Musterbeispiel aus
dem Horrorkabinett der Hummel’schen Vorurteile. Das fing schon mit der Leiterin
an, der Psychologin Irene Bertsche-Hundammer, einer blassen Frau, die sich das
Geld für den Friseurbesuch offenbar lieber sparte. Sie war gänzlich
ungeschminkt, trug eine Brille und sprach sehr langsam und sehr umständlich in
einem nervigen Sozialpädagoginnenjargon.
    Von den anderen sieben Klienten kannte er außer dem fidelen Sachsen
lediglich ein paar Gesichter vom Sehen.
    Irene Bertsche-Hundammer, die gleich mit allen per Du war, verlangte
allen Ernstes, sie sollten sich zunächst Wollknäuel zuwerfen, das nach und nach
alle Teilnehmer miteinander verbinden und die Kontaktängste abbauen sollte.
Immer wieder ermahnte sie die Gruppe: »Ihr solltet bitte immer sagen, was ihr
gerade fühlt.«
    Als sich schließlich alle hinknieten, um Vordermann und Vorderfrau
an die Fußknöchel zu greifen, war es um Hubertus’ Fassung beinahe geschehen.
Alle acht plus Psychotherapeutin robbten schließlich über den Boden wie eine
Raupe.
    »Und, was macht das mit euch?«, erkundigte sich Irene währenddessen.
    Der fidele Sachse hielt das Ganze offenbar für einen einzigen großen
Kindergeburtstag und sang dazu die »Polonäse Blankenese« (»Und Erwin fasst der
Heidi von hinten an die … Schulter«), bis er freundlich zum Schweigen gebracht
wurde. Eine andere Teilnehmerin in einem fürchterlich bunten Trainingsanzug
hatte offenbar schon mehr Rehaerfahrung. Zumindest hatte sie den vorgeschriebenen
Jargon verinnerlicht und meinte, sie fühle sich als Teil einer großen Einheit,
was ihr sehr wichtig sei. Die anderen schwiegen entweder oder nickten
vorsichtig.
    »Und du, Hubertus?«, wollte Bertsche-Hundammer wissen.
    Hubertus grummelte irgendetwas vor sich hin.
    Gleich gab ihm Irene verbale Hilfestellung. Er dürfe hier ganz offen
sein, denn er befinde sich unter Freunden und müsse alle Hemmungen abbauen.
    Schlagartig war Hubertus klar, an wen ihn das Ganze überdeutlich
erinnerte: an Pergel-Bülow natürlich. Seinen unsäglichen Lebensretter.
    Dennoch brauchte er eine weitere Raupenrunde und eine weitere
Ansprache der Therapeutin, um endlich seinen Gefühlen freien Lauf lassen zu
können.
    »Ich finde es schrecklich!«, brach es aus ihm heraus. »Meine
Nachbarn benehmen sich so ähnlich, meine Frau hat Verständnis für alles und
jeden, und ich hatte gehofft, hier von solchem Schnickschnack verschont zu
werden.«
    Er ließ die Knöchel der Vorderfrau los und erhob sich schnaufend.
»Ich steige aus dieser Raupe aus.«
    Die Therapeutin blieb erstaunlich gelassen. »Du, das ist deine
eigene Entscheidung, die ich voll respektiere«, sagte sie.
    »Ich gehe dann mal raus«, meinte Hubertus.
    »Du, das ist etwas schwierig. Ob du aufhören möchtest, ist deine
eigene Entscheidung. Ob du aber die Gruppe verlassen kannst, um nach draußen zu
gehen, sollte schon die Gruppe entscheiden.«
    Hubertus starrte sie mit offenem Mund an. Die anderen schwiegen vor
sich hin, meist mit betretenem Gesichtsausdruck. Der Sachse grinste infantil.
    Dann fiel Hubertus doch noch etwas ein. Er sei herzkrank und solle
sich nicht aufregen. »Aus diesem Grund fände ich es verdammt noch mal gut, wenn
ich endlich hier rauskönnte!« Die mit Kinderbildern bemalten gelben Wände
wackelten fast beim letzten Halbsatz. Beim nächsten übrigens nicht minder, in
dem das Wort »Irrenhaus« vorkam.
    Anscheinend war er nicht der erste Querulant, mit dem
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