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Giftpilz

Giftpilz

Titel: Giftpilz
Autoren: Stefan Alexander; Ummenhofer Rieckhoff
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Irene
Bertsche-Hundammer zu tun hatte. Gänzlich unbeeindruckt suchte sie nach einem Kompromiss:
Hubertus sollte nach zehn Minuten wieder hereinkommen und sagen, wie es ihm
dann gehe. »Kannst du dich in diesem Arrangement wiederfinden?«
    Hubertus nickte fassungslos, weil ihm klar wurde, dass jede weitere
Aufregung tatsächlich Gift für sein Herz gewesen wäre.
    Er trottete also nach draußen und ging nach einer Weile auf sein
Zimmer. Die nächste Anwendung – Rotlichtbestrahlung – war in fünfundzwanzig
Minuten. Da blieb noch Zeit für ein kurzes Nickerchen. So oder so: Die
Gruppentherapie war ab sofort gestrichen.

6. KEHRWOCHE
    Klaus Riesle schreckte auf dem Sofa hoch: Er hatte gehörig
verschlafen. Und das sollte bei ihm schon etwas heißen, denn der Arbeitstag des
Lokaljournalisten begann für gewöhnlich erst gegen halb zehn. Das Display
seines DVD-Rekorders zeigte bereits zehn Uhr zweiundvierzig an. Die
morgendliche Konferenz hatte er somit verpasst. Der Fernseher lief noch immer.
Eine blonde, offenbar geliftete Frau bot in einem operettenhaften Singsang
»wunderschön ornamentierte Kerzen zum Selbstgestalten« an. Welchen Sender hatte
er da bloß geschaut, ehe er eingeschlafen war?
    »Das Zeug da nehm ich nicht mal geschenkt«, murmelte Riesle.
    Ohnehin hätte er in seiner Bude derzeit eh keinen Platz für Kerzen
gehabt. Der Wohnzimmertisch war belegt mit halbvollen Chipstüten, Flaschen und
Gläsern. Ein Geruch von abgestandenem Bier durchdrang das ungelüftete
Apartment. Riesle überlegte, wann er den Tisch das letzte Mal abgeräumt hatte.
Die Pizza konnte er noch zuordnen – das war vor vier Tagen gewesen, während er
das Länderspiel geschaut hatte. Der letzte Abwasch musste Wochen her sein. Als
er in die Küchennische ging, um sich einen Kaffee zu machen, hatte er
Schwierigkeiten, noch eine unbenutzte Tasse zu finden. Er musste dringend aufräumen – aber jetzt war er leider in Eile. Er fluchte, als er in eine Aluschachtel mit
Resten des Gerichts N3 (Gebackenes Schweinefleisch mit süß-saurer Sauce) trat.
Chinesisch, indisch, italienisch, thailändisch – die multikulturelle
Gesellschaft in ihrer kulinarischen Bringdienstform gab sich auf den
siebenunddreißig Quadratmetern ein breites Stelldichein.
    Warum war er den gesamten Abend über nicht zum Aufräumen gekommen?
Antriebsarm – so fühlte sich Riesle in letzter Zeit. Die Spürnase des einst so
quirligen Journalisten schien ihn zunehmend im Stich zu lassen. Das merkte man
nicht nur beim Gang durch die Wohnung, sondern auch beim Blick in den
Schwarzwälder Kurier. Die letzte richtige Exklusivgeschichte, die er aufgetan
hatte, lag deutlich vor der letzten Wohnungsreinigung. Früher hatte er dreimal
pro Woche eigene Aufmacher angeschleppt – vornehmlich aus dem Bereich der
Kriminalität, in dem der Schwarzwald-Baar-Kreis mehr zu bieten hatte, als der
unbedarfte Urlauber glauben mochte.
    Dass Riesle diesbezüglich etwas erlahmt war, lag auch daran, dass er
seines Apparats, mit dem er über mehrere Jahre hinweg den Polizeifunk abgehört
hatte, beraubt worden war. So empfand er es wenigstens. In Wirklichkeit hatte
Hauptkommissar Claas Thomsen, dieser unsägliche norddeutsche Miesepeter, bei
Riesles Chefredakteur interveniert, nachdem er Wind davon bekommen hatte, dass
der Journalist mithilfe des Geräts stets einer der Ersten am Tatort war. Riesle
hatte den Apparat also zähneknirschend bei der Polizei abgeliefert und sich
bislang nicht getraut, ihn durch einen Nachbau zu ersetzen. Dabei hatte der
Chef in letzter Zeit mehrfach »spannende Storys« angemahnt, was ziemlich unfair
war, da er ihm seine Arbeitsgrundlage entzogen hatte.
    Zehn Uhr vierundfünfzig war es, als Riesle seine Messiewohnung
verließ. In den zwölf Minuten seit dem Aufwachen hatte er sein Handy
eingeschaltet, zwei Anrufe des Kollegen Eckner (»Kommst du heute? Kommst du
überhaupt noch mal?«) auf der Mailbox abgehört, den Fernseher ausgestellt, war
in seine Jeanshose und Jeansjacke geschlüpft, hatte den chinesischen Teil der
Essensreste beseitigt und sich gefragt, ob er sich eine Putzfrau anschaffen
sollte.
    Eine solche hätte allerdings gegen seinen Entschluss verstoßen,
keine Frau mehr im Haus haben zu wollen. Und außerdem hätte ihn der regelmäßige
Besuch einer Putzfrau unter den ständigen Druck des Aufräumens gesetzt. Denn so
konnte er seine Wohnung einer Fremden nicht präsentieren.
    Oder sollte er einfach ausziehen? Die Wohnung in der Villinger Wöschhalde,
in
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