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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün
Autoren: Elsemarie Maletzke
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nicht eingefallen war, standen davon zehntausend zu. Über die restliche Summe hatte der Erblasser in einer Weise verfügt, die Lina, Karl und Vetter Eilemann zunächst verständnislos auf ihren Stühlen verharren ließ. Dabei hatte er sich vollkommen klar in dieser Sache ausgedrückt. Lina las die betreffende Passage aus einer Fotokopie des Testaments ihrer Mutter am Telefon vor.
    »Ich, Heinrich Weil, verfüge Folgendes: Am 21. Juni 1977 verstarb die mir anvertraute Marion Bruant, als sie unter ungeklärten Umständen in das Schwimmbecken auf dem Anwesen meiner Frau Rose in Buchfinkenschlag stürzte und ertrank. Ich bin überzeugt, dass dies weder ein Unfall noch Selbstmord war, sondern die Tat eines ruchlosen Verbrechers, der damit auch mein Leben zerstört hat. Derjenige meiner Erben, der Entscheidendes zur Aufklärung beitragen, den Täter zur Anzeige bringen und damit meinen befleckten Namen reinwaschen kann, erhält die gesamte Summe von dreißigtausend Euro. Bei Misserfolg fällt die genannte Summe drei Monate nach meinem Tod an die Stiftung Wald- und Wildschutz.«
    »Was sagst du dazu?«, fragte Lina.
    »Ich sage, er hätte sich ein wenig präziser ausdrücken können«, erwiderte ihre Mutter. »M. ist also Marion Bruant. Und weiter? Wer war sie und warum glaubt er, dass es ein Verbrechen war? Aber das sieht ihm ähnlich. Heinrich war immer so ein Leisetreter, aber er war kein schlechter Kerl. Das weiß ich. Wenn diese Marion gestorben ist, dann bestimmt nicht durch seine Schuld. Sonst hätte er sich ja kommentarlos davongemacht und nicht die Erben auf die alte Geschichte angesetzt. Dreißigtausend Euro, kein Pappenstil, aber hör mal, Lina, du wirst jetzt nicht auf Verbrecherjagd gehen. Und Karl natürlich auch nicht!«, fügte sie nach kurzem Nachdenken hinzu. »Was wollte denn dieser französische Rechtsanwalt? Für wen war der gekommen?«
    »Für eine Madame Ernest Calvat.«
    Am anderen Ende entstand eine Pause.
    »Das ist kein Name«, sagte ihre Mutter, »das ist eine Rose.«
    »Eine Rose?«
    »Ja, eine Bourbonrose, duftet ganz köstlich. Ich habe so eine an der Böschung stehen; ist ein rosa Sport von Madame Isaac Per …«
    »Ja, Mama. Aber wenn das kein Name ist, dann war das vielleicht auch kein Anwalt? Wir haben uns gewundert. Er hat sich ganz schnell wieder verabschiedet, als der Notar mit dem Testament fertig war.«
    »Natürlich war das ein Anwalt«, sagte ihre Mutter mit Nachdruck. »Der Notar hat ihn schließlich benachrichtigt, und er ist gekommen. Aber seine Mandantin wollte vielleicht unerkannt bleiben.«
    »Meinst du, es handelt sich um eine alte Flamme von Onkel Heinrich, oder – die Rose ist gar keine Rose sondern unsere Tante Rose aus Buchfinkenschlag?«
    »Genau das meine ich. Aber unsere Tante Rose ist sie auf keinen Fall.«
    »Nun, dann eben Heinrichs Frau. Trotzdem verstehe ich das nicht. Sie hat ihn vor dreißig Jahren beschuldigt und rausgeworfen. Und nun fordert er sie auf, den wahren Schuldigen zu finden. Warum sollte sie ihre Meinung geändert haben?
    »Was weiß ich? Ihr Name steht jedenfalls im Testament und sie hat einen Anwalt geschickt. Es kommt mir vor, als habe Heinrich das letzte Wort behalten wollen und ihr gesagt: Du hast dich getäuscht, liebe Frau. Ich habe diese Marion nicht auf dem Gewissen. Sehr unwahrscheinlich, dass sie nach so langer Zeit noch etwas zur Aufklärung der Sache beitragen kann. Sicher ist sie senil, das geschähe ihr recht. Aber Heinrich ist wenigstens losgeworden, was ihn gedrückt hat.«
    »Sie kann nicht senil sein, wenn sie einen Anwalt geschickt hat«, sagte Lina. Sie hielt einen Augenblick inne. »Ich habe am Montag keinen Gast. Alex kann das Haus hüten. Ich fahre nach Buchfinkenschlag.«
    »Das hatte ich befürchtet«, erwiderte ihre Mutter. »Hol mich ab. Ich fahre mit.«

    Die Servietten waren weiß aus der Waschmaschine gekommen und Lina hatte sie feucht zu frischer, glänzender Straffheit gebügelt. Heute würde sie endlich auch das Geschirr spülen und wegräumen. Es waren kostbare Teller und Tassen von Spode, die sie niemals der Spülmaschine ausliefern würde. Als sie das Zeitungspapier zusammenfaltete, in das sie die Teile eingewickelt hatte, erinnerte sie sich des Gefühls, in Onkel Heinrichs Wohnung etwas übersehen zu haben. Hier hielt sie es plötzlich in der Hand und starrte darauf: der Öffentliche Anzeiger vom Juni 1977mit der Schlagzeile und dem grob gerasterten Photo einer bekannten Stätte. Ein Polizist in Uniform und
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