Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün
Autoren: Elsemarie Maletzke
Vom Netzwerk:
Heinrichs Buffet hatte er offenbar einen Treffer gelandet.
    »Erstaunlich, was er alles einmagaziniert hat. Hätte ich nicht erwartet. Ein paar Raritäten aus dem Reich der Botanik, Lonicerus’ Kreuter-Buch von 1713, einige Wurmlöcher drin, aber immerhin. Chaumetons Flore médicale , sogar zwei Pflanzenkupfer aus dem Hortus Eystettensis , auch nicht übel. Vielleicht möchte Mama ein Erinnerungsstück. Dazu ein paar Reisebücher aus dem 19. Jahrhundert, der Rest ist eher was für die Grabbelkiste.« Er klopfte auf den Karton. »Ich wiederhole mich ungern, trotzdem sage ich es immer wieder: kein Buch hat verdient in irgendeinem Lokus zu landen. Deshalb gehen sie alle mit. Und hier haben wir noch einen kleinen Ridinger.«
    Er stand auf und nahm den gerahmten Kupferstich einer Rotte Wildschweine an der Tränke von der Wand, klappte den Karton auf und legte ihn obenauf. »Kein Vermögen, aber vielleicht wäre ein Heißwasserboiler drin gewesen. Und ein etwas weniger klappriges Fenster. Ich frage mich, warum der alte Bussard seine Schätze nicht versilbert hat.«
    »Vielleicht weil ihm am Verlieren nichts lag«, sagte Lina.
    »Gilt das mir, Schwester?«
    »Auf keinen Fall.«
    Als sie von außen den Schlüssel herumdrehte und einsteckte, hatte sie das Gefühl, etwas gesehen und zugleich übersehen zu haben.
    »Gehen wir noch ein Bier trinken?«

    Nicht dass Lina daran dachte, ihren Anteil zu versilbern. Karl hatte ihr die Kiste vom Auto ins Haus getragen und in den Fahrstuhl gestellt. Sie hatte das Scherengitter hinter sich geschlossen und war allein in den dritten Stock gefahren. Das Haus war eine dieser würdigen grauen Klippen aus dem 19. Jahrhundert, das noch nicht unter die Immobilienspekulanten gefallen war, weil seine Besitzerin, eine verwitwete Dame, die mit ihrem Mops die Bel Etage bewohnte, alles so belassen wollte, wie es ihr der selige Herr Küstermann vererbt hatte. Die Öfen waren erbärmlich, aber es fehlte nicht an Respekt gegenüber den Mietern.
    Lina hatte sie überredet, eine kurze Zeit der Unordnung zu erdulden, hatte Heizung und Bäder einbauen lassen und im dritten Stock ein elegantes Miniaturhotel eröffnet. Die Maßnahme hatte alles aufgezehrt, was sie besaß und wofür ihre Mutter gebürgt hatte, und in bangen Stunden rechnete sie aus, dass sie wohl für den Rest ihres Lebens bei der Bank in der Kreide stehen würde. Doch sie ging nie ohne stolze Freude an dem Messingschild neben der Eingangstür vorbei, das zum Hotel garni Augusta im 3. Stock wies, ein Name, der Lina die nötige Mischung aus Glanz und Gediegenheit auszustrahlen versprach.
    Sie hatte ihre eigenen Bedürfnisse auf die Küche und die Mansarde beschränkt und die Etage in fünf Gästezimmer und einen Frühstücksraum mit hohen Fenstern und minimalistischem Inventar umgewandelt. Kein Bild und kein Tand beleidigten das Auge, kein Geklampfe das Ohr. Nur zwei große Barytabzüge mit den Details einer buddhistischen Mönchsrobe hingen dort, die den von Lina gewünschten Zustand von Klarheit, Achtsamkeit und Stille ausdrückten, und es fehlte nie an frischen Blumen, deren Zusammenstellung sie einem geschmackssicheren jungen Floristen überließ, da sie selbst kein Alpenveilchen von einer Nelke unterscheiden konnte.
    In der verglasten Veranda standen ein antiker Schreibtisch, darauf ein Notebook mit Internetanschluss und eine Mappe mit chamoisfarbenem Briefpapier (»Hotel Augusta«), drei Ledersessel, drei Leselampen, eine Hifi-Anlage mit Kopfhörern, ein Regal mit CD s, ein Aschenbecher und ein Tisch mit einem Schachbrett. Mehr war nicht nötig und auch nicht wünschenswert.
    Da nicht nur duftige Daunen, ägyptische Baumwolle, edle Seife und sinnhafte Beleuchtung hohe Preise rechtfertigten, fand jeder neue Gast einen Blumenstrauß, Obst von der leicht verderblichen, aber erlesenen Sorte und Mineralwasser auf dem Zimmer vor. Mit den Jahren hatte sich dank dieser Umsicht eine hochachtbare Stammklientel von meist älteren Herren herausgebildet, in der Regel gastierende Kulturschaffende, und wenn Lina eitel oder geschmacklos genug gewesen wäre, hätte sie eine Reihe signierter Photos hinter der Rezeption aufhängen können – von Leuten, die einmal und nicht wieder erschienen. Stattdessen stand dort ein Regal, das sie mit Lektüre aus Karls modernem Antiquariat bestückt hatte. Entdeckungsreisen, Spionage und schwedische Krimis gingen gut. Auch Comics und Erotika waren gefragt; Vampire weniger. Manchmal verschwand ein Buch, aber das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher