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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün
Autoren: Elsemarie Maletzke
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Person erinnern sollte. »Du wirst bitte keine Eisbegonien auf mein Grab pflanzen«, sagte eine Dame zu ihrem Mann. »Eisbegonien nicht über meine Leiche! Und kein Saint-Exupéry!«
    Johann Gerswiller stand allein auf dem Vorplatz. Der Regen lief ihm durch sein langes schwarzes und graues Haar. Er hielt sich ein wenig gebeugt. Über dem Unterarm trug er einen kleinen Kranz aus weißen Rosen und den Griff seines zusammengeklappten schwarzen Schirms. Ô bruit doux de la pluie, dachte Lina. Sie wusste inzwischen, wie das Gedicht von Verlaine weiterging: Es gab keinen Grund, zu weinen, und doch konnte man dem Regen nicht wehren, der einem »ins Herz tränte«, wie er auf die Erde und die Dächer fiel. Als sie lächelnd auf ihn zu trat, nickte er leichthin und ohne Überraschung, als träfen sie sich regelmäßig auf Beerdigungen.
    »Geht es dir gut?«
    »Ganz gut. Rose hat für mich gesorgt. Wie immer. Die Arbeit ist okay, der Botanische Garten gar nicht so übel; ziemlich klein, aber gut beieinander und ein paar ganz abgefahrene Pflanzen.«
    »Tatsächlich? Nicht nur hübsch und harmlos?«
    »Nicht nur.« Er sah auf ihren Blumenstrauß. Für einen Augenblick bohrte sich das Grübchen in seine linke Wange.
    »Du hast Aconitum carmichaelii mitgebracht.«
    »Du redest wie meine Mutter.«
    »Die Sprache der Blumen«, sagte er, »Herbst-Eisenhut.«
    »Ist das jetzt wichtig?«
    »Nein. Vergiss es. Ich rede nur so daher.«
    »Wie steht es mit Buchfinkenschlag? Deinem Garten?«
    »Keine Ahnung. Baustelle vermutlich. Ich habe meinen Kram gepackt und bin abgehauen. Schätze, die Junkies räumen gerade das Gewächshaus auf. Hoffentlich kann das Fachpersonal eine Belladonna von einer Begonie unterscheiden.«
    Sie wartete, ob er sie etwas fragen wollte, aber er fragte nicht. Also sprach sie weiter. »Kennst du hier jemanden? Für mich sind das alles fremde Gesichter.« Er deutete mit dem Kinn auf die zusammenstehenden Grüppchen.
    »Das sind fast alles Honoratioren, Leute von der Drogenstiftung; der mit der Brille ist mein Chef Théo Munch, der Direktor des Botanischen Gartens, mit einem Typ von den Konservativen aus dem Europaparlament. Da drüben, das sind irgendwelche Kulturschaffenden und ein paar Pressefritzen. Die anderen kenne ich nicht. Bruant ist übrigens auch da. Seine Bodyguards hat er diesmal zu Hause gelassen.«
    »Bruant, der alte Ganove«, sagte Lina. »Hast du deine Kupferstiche zurückbekommen?«
    »Nein«, erwiderte er, »aber ich bin gerade dabei, mich für meine Verluste zu revanchieren.« Sie schwiegen; er sah auf das Immergrün an ihrem Revers, dann wandte er den Blick ab, grau um Mund und Schläfen.
    »Da kommt der Pfarrer«, sagte Lina. Sie legte ihm leicht die Hand auf den Arm mit dem Rosenkranz.
    »Adieu, Johann. Pass gut auf dich auf.«
    »Lina.«
    »Ja?«
    »Leb wohl, Lina.«

    Alphonse Bruant wurde am Montagmorgen gefunden. Es regnete noch immer. Er hatte drei Nächte in seinem Kot und Erbrochenen im Garten von Buchfinkenschlag gelegen, ehe zwei Mitarbeiter der Baufirma, die das Haus restaurierte, auf seine Leiche stießen. Alle Symptome wiesen auf eine Ricin-Vergiftung hin. Die Obduktion ergab, dass er den Samen der Rizinuspflanze nicht gegessen hatte, sondern dass das Gift über eine Verletzung am Fußknöchel in seine Blutbahn gelangt war.
    Die letzten, die ihn lebend gesehen hatten, waren der Bauarbeiter, der am Freitag das Tor von Buchfinkenschlag geschlossen hatte, und die Trauergäste auf der Beerdigung von Rose Bruant in Straßburg. Die Polizei war dabei, die Zeugen zu befragen. Sie ging von einem Gewaltverbrechen aus und bat um Hinweise aus der Bevölkerung.
    Es gab nur drei Menschen, die etwas über seinen Mörder hätten sagen können, aber Rose war tot, Lina schwieg und Berta Weil, die wusste, dass Gärtner ein nachtragendes Pack sind, wurde nicht gefragt.

Dank
    Ich verdanke Andreas Maier die wahre Geschichte eines jungen Mannes, der sich am Frankfurter Mainufer einen Sud aus Engelstrompeten gebraut hatte, nach dessen Genuss ihn ein euphorischer Bewegungsdrang und Hitzewallungen überkamen, die er im Fluss zu kühlen suchte und dabei ertrank. Der leer stehenden Fabrikantenvilla im pfälzischen Finkenbach-Gersweiler verdanke ich einen starken äußeren Eindruck. Alles Übrige ist Fiktion.

Impressum
    Das ist die E-Book-Ausgabe des im Jahr 2013 im Verlag Schöffling & Co. erschienenen Buchs.

© Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH,
Frankfurt am Main 2013
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