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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün
Autoren: Elsemarie Maletzke
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Das wird dir guttun.« Sie wandte den Blick wieder Lina zu. »Ich sehe dir an, dass du eine vernünftige Person bist. Mein Vermögen wird an die Stiftung für Drogenkranke fallen, aber ich habe mir gedacht, dass du vielleicht meine Möbel und anderes zu schätzen weißt. Ich besitze sehr schönes Silber und Geschirr von Spode, und das Bild über dem Kamin ist ein Singer Sargent.«
    Lina lächelte breit, um nicht laut zu lachen. Ohne es zu ahnen, hatte es die Tante ihr ebenfalls elegant heimgezahlt. Sich ihrer Gier schämend, hatte Lina Onkel Heinrichs Teller, Tassen, Löffel und Servietten, die eigentlich Rose gehörten, an sich gerafft, und nun wurden ihr die fehlenden Teile auf dem Silbertablett nachgereicht.
    »Ich danke dir, Tante Rose, das ist sehr gütig von dir. Ich wäre wirklich stolz auf deine schönen Sachen.« Es war die richtige Antwort. Rose nickte zufrieden.
    »Und nun zu dir, junger Mann. Du wolltest mir etwas sagen.« Sie sah Karl an.
    Er machte seine Sache gut, erzählte von seinem Besuch bei Fräulein Marie in Buchfinkenschlag und ihrem vorzüglichen Gedächtnis, das alle Einzelheiten des Sonnenwendfestes von 1977 aufbewahrt hatte. Er sprach mit Takt von der Szene auf der Turmtreppe und von Marions Geständnis, dass sie Heinrich Weils gewaltsamen Übergriff nur erfunden hatte, um ihm zu schaden und aus dem Haus zu vertreiben. Dann kam er auf seine Ohrenzeugin Tante Tilly zu sprechen, die sich zusammen mit ihrem Bruder Heinrich an der Suche nach Marion beteiligt und im Badehaus eindeutige Geräusche vernommen hatte, die auf Marion und – er zeigte anklagend über den Tisch – zweifelsfrei auf Johann Gerswiller hinwiesen. Der Gärtnerbursche war nicht nur der Erste, der Marion tot, sondern auch der Letzte, der sie lebendig gesehen hatte. Dazwischen war ihm jede Menge Zeit geblieben, um seine Spuren zu tilgen. Doch eins hatte er übersehen: Er trug noch immer seinen Kellnerfrack, als er Marion aus dem Wasser zog. Er musste also die ganze Nacht am Tatort gewesen sein. Karl fragte sich und die anderen, was zwischen ihm und Marion vorgefallen war. Dabei schaute er nicht Gerswiller, sondern Tante Rose an.
    Tante Rose zeigte Wirkung. Sie war gegen die Stuhllehne gesunken, straffte sich aber wieder.
    »Danke, Karl«, sagte sie, »ich bin sehr berührt von deinen Worten. Es wäre sicher förderlich gewesen und hätte uns viel Herzeleid erspart, wenn Fräulein Marie zu einem früheren Zeitpunkt und zu mir gesprochen hätte. Das alles wirft ein ganz, ganz anderes Licht … Aber in einer Sache hast du entschieden Unrecht und ich möchte eine solch alberne Anschuldigung nie wieder an meinem Tisch hören. Johann Gerswiller ist an Marions Tod vollkommen unschuldig. Ich habe mir nie angemaßt, das Privatleben des Personals zu überwachen. Deshalb weiß ich nicht, wie er und Marion zueinander standen, und es ist mir auch gleichgültig, weil es nichts mit dem zu tun hat, was in dieser Nacht geschah.« Sie schwieg, die weißen Vorhänge regten sich im Wind und außer fernen Straßengeräuschen war nichts zu hören.
    »Ich muss euch sagen, dass Marion ein kranker Mensch war. Damals hätte ich es nicht so genannt, aber heute weiß ich es. Bruants Tochter war süchtig, als sie nach Buchfinkenschlag kam, und sie fand Mittel und Wege, auch dort an Drogen zu gelangen. Offenbar gab es sogar in unserer Weltabgeschiedenheit gewissenlose Menschen, die Rauschgift an ein Kind verkauften. Die Droge, für die sie uns bestohlen und die ihre Gesundheit und ihren Geist zerstört hat, heißt Heroin. Alphonse, der seine Tochter vergöttert hat, war blind für ihre Fehler. Er meinte, alles, was sie brauche, seien geordnete Verhältnisse. Doch von geordneten Verhältnissen versteht Alphonse so viel wie ich von seinem Immobiliengeschäft.«
    Karl fühlte, wie ihm vor Schreck plötzlich taub zumute wurde, ein Gefühl, als sei er auf der falschen Seite der Autobahn unterwegs und der Fall Marion Bruant kam ihm in Gestalt eines Mehrtonners entgegen. Er hatte Rose nichts von seinem Besuch bei ihrem Bruder Catulle erzählt, weil er sie nicht verletzen und gegen sich einnehmen wollte und auch weil er aus dem unflätigen Gerede des alten Sünders nicht schlau geworden war, aber nun verstand er, was dieser mit Marions unausweichlichem gewaltsamem Tod gemeint hatte. Solche Leute – das waren Catulle selbst und Marion; beide drogensüchtig. Deshalb war ihm von der ersten Begegnung an klar gewesen, wen er vor sich hatte: einen Junkie. Und dass
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