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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün
Autoren: Elsemarie Maletzke
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kannte, nicht viel mehr als seine alten, aber wertlosen Möbel hinterlassen würde. Seine letzten Jahre hatte der Onkel allein und jede Gesellschaft, bis auf flüchtige Besuche, ablehnend, in einer Zwei-Zimmer-Mansarde am Rand einer Kleinstadt gelebt. Im Sommer roch es bei ihm nach heißer Dachpappe, im Winter wuchsen Eisblumen am Fenster.
    Lina kannte von dieser Wohnung nur einen dunklen, mit Kartons zugestellten Flur und das kleine Wohnzimmer mit Kohleofen und einer Chaiselongue, über die eine Wolldecke gebreitet war. Am Fenster stand ein Lehnsessel mit Plastikschonbezügen über den Armlehnen, von dem Onkel Heinrich auf die Dächer seiner Nachbarn blicken konnte und darüber hinaus auf eine Nussbaumallee, die schnurgerade hügelan zu den buschigen Kronen des Waldes führte, den der alte Mann nur noch an guten Tagen erreichte. Unten im Haus war die Metzgerei, in der er jeden Mittag, an einem kleinen runden Tisch stehend, das Tagesmenu aß, Gulasch mit Klößen, Bratwurst mit Rotkraut, Rindsroulade mit Salzkartoffeln. Die Speisekarte wechselte selten, und im ganzen Haus roch es nach Soße.
    Außer dem Sessel und der Chaiselongue stand im Wohnzimmer ein Buffet, hinter dessen Glastüren alte Wild-und-Hund-Kalender gestapelt waren und drei Weingläser mit grünem Stiel standen. Die Gläser stammten aus einer anderen Zeit, als der Onkel mit einer Frau, die Lina Tante Rose genannt, die aber, wie man ihr zu verstehen gegeben hatte, nicht wirklich mit den Weils verwandt war, in einer Villa nahe der französischen Grenze gelebt hatte. Die Villa hieß Buchfinkenschlag wie das Dorf, zu dem sie gehörte, aber was zuerst da war, wusste sie nicht.
    Als kleines Mädchen war ihr Buchfinkenschlag mit seinem schiefergedeckten Turm mitten auf dem Dach und den bunten Fensterscheiben unfassbar alt und märchenhaft erschienen. Von ihren Besuchen dort waren ihr polierte Fußböden und Türknäufe, die sie nur auf den Zehnspitzen erreichen konnte, in Erinnerung geblieben, ein Tor mit kauernden Löwen auf den steinernen Pfosten, ein Baum, aus dem ihre Schaukel hing und ein blau gestrichenes Bassin mit sehr kaltem Wasser, in dem der Onkel sie tauchen und schwimmen lehrte.
    Sie reiste immer allein nach Buchfinkenschlag, weil sie alt genug war und Karl noch ein Baby, mit einem Handkoffer und ihrer Fahrkarte an einem Bändel um den Hals. Am Bahnhof der Kreisstadt holte Onkel Heinrich sie mit dem Auto ab und auf der Fahrt durfte sie vorne sitzen, ein Platz, der in der Familie sonst ihrer Mutter zustand. Lina hatte mit den Kindern aus dem Dorf am Schwimmbassin gespielt und war auf dem Tennisplatz Federbällen nachgerannt. Sie erinnerte sich auch an einen großen Jungen in einer grünen Gärtnerschürze, der für sie mit der Harke die Zweige des Kirschbaums herunterzog. Aber die meiste Zeit war sie mit Onkel Heinrich, der immer Ferien zu haben schien, aus dem Löwentor hinaus und über Land gewandert. In seinem Rucksack trug er die Wegzehrung, eine Flasche Kakao und in einer Aluminiumdose Butterbrote mit Rührei, das er am Morgen gebraten und kalt gestellt hatte.
    Onkel Heinrich machte gern alles selbst. Er konnte auch gut Dornen aus den Fußsohlen ziehen, lange unter Wasser bleiben, mit zurückgezogener Unterlippe das Wiesel nachmachen und auf einem zwischen die Daumen gespannten Grashalm blasen, ein Geräusch, das angeblich Rehe anlockte, jedoch nie wenn die kleine Lina dabei war. Auf ihren Wanderungen sangen sie im Gleichschritt ein Jägerlied, das darauf hinauslief, dass ein harter Mann, der den Adler auf der Klippe Horst und die Ente auf dem See geschossen, auch die Liebe einst gespürt habe. Dies konnte kein anderer als Onkel Heinrich selbst gewesen sein. Er erfreute Lina auch mit Anekdoten aus einem Leben, in dem es auf gute Manieren nicht so ankam; von Treibjagden, bei denen Bankdirektoren zu Schaden gekommen waren, weil man sie für Wildschweine gehalten, und von kapitalen Hirschen mit vielen Enden, die er selbst im wilden Forst erlegt hatte, er, der wegen seiner Brille eigentlich gar kein Gewehr tragen durfte. Und es trotzdem tat.
    Aus einem Grund, über den in der Familie Weil niemand Bescheid zu wissen schien, war Tante Rose, die meist nur als Heinrichs Frau Erwähnung fand, aus Linas Leben verschwunden und mit ihr die Villa, der Kirschbaum, die Schaukel, das Schwimmbassin und die Wanderungen. Die Veränderung wurde erst kurz vor den nächsten Sommerferien bekannt gegegeben, als Lina die Herrlichkeiten von Buchfinkenschlag schon
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