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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün
Autoren: Elsemarie Maletzke
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störte sie nicht. Bücher sollten ruhig in der Welt herumkommen.
    Wie Onkel Heinrich machte auch Lina gern alles selbst und leistete sich nur stundenweise einen Ingenieurstudenten namens Alex, der in der Kindheit vermutlich einen psychischen Schaden erlitten hatte, der ihn zum Putzteufel hatte heranreifen lassen. Einen Kalkfleck auf dem Wasserhahn nahm er persönlich, ein feuchter Duschvorleger bereitete ihm körperliche Pein, und er trank keinen Kaffee aus einer Tasse, die er nicht selbst gespült hatte. Seine Chefin fühlte sich nicht berufen, dieser Neurose Grenzen zu setzen, sondern nahm Alex als segensreiche Erscheinung für das Hotel- und Gaststättengewerbe, die ihr erlaubte, sich ganz ihren Gästen zu widmen. Sie wusste, wer von ihnen ein Kirschkernkissen brauchte und wer ein Gläschen Champagner zum Frühstück. Jedem schenkte sie ihr Koboldlächeln, das zu ihrer Erscheinung gehörte wie die hochgestellten Blusenkragen, und nur in späten Stunden, wenn sie von ihrer Buchhaltung aufsah, fragte sie sich, wie es kam, dass sie ihre Gäste inzwischen besser kannte als ihre alten Freunde und warum ihr Liebesleben so ruhmlos daniederlag. Sie ahnte, dass sie das Hotel Augusta zum Maß aller Dinge gemacht hatte, den Eichstrich, bis zu dem des Lebens Fülle reichte, und dass alles, was darüber hinaus an Anteilnahme und Anstrengung von ihr gefordert würde, das Glas zum Überlaufen brächte und nicht verkraftet werden konnte.
    Gern malte sie sich Szenen mit Bekannten und Unbekannten aus, deren Leben ihr gefährlicher und farbiger als das ihre erschien, aber sie änderte nichts an ihren Gewohnheiten, arbeitete bis in den späten Abend hinter der Rezeption und servierte auf Wunsch Frühstück vom Morgengrauen bis zum Mittag. Der Darjeeling stammte aus erster Ernte und wurde in dünnen weißen Porzellantassen serviert, die Croissants waren knusprig, die Eier à la minute, und vom Gelee lieferte ihre Mutter regelmäßig ein Kontingent aus den Früchten ihres Gartens. Linas Frühstück war perfekt. Jede ihrer eigenen Mahlzeiten glich dieser ersten des Tages. Wichtig war, dass man neben dem Essen noch etwas anderes tun konnte.
    Nun würde sie die Leinenservietten austauschen. Damast zum Frühstück? Warum eigentlich nicht? Noch bis vor wenigen Stunden waren diese Teile verlorenes Gut, der Rohheit der Entrümpler preisgegeben. Inzwischen betrachtete Lina sich als deren rechtmäßige Alleinerbin. Sie war überzeugt, Onkel Heinrich wollte seine Tischwäsche weder Karl noch Eilemann und schon gar nicht den klebrigen Fingern der Hausbesitzerin Kerz hinterlassen, sondern ungeteilt seiner Nichte Lina.
    In der Küche begann sie den Karton auszupacken, legte das Seidenkleid über die Stuhllehne, wickelte das Porzellan aus der Zeitung, hob die gestärkten, in den Falten vergilbten Tafeltücher heraus, schüttelte sie und stopfte sie in den Schlund der Waschmaschine. Dann löste sie die blauen Bänder um die Servietten. Ein zusammengefaltetes dünnes Papier fiel heraus. Ein Brief ohne Umschlag. Er trug weder Ort noch Datum und nur die Anrede: »Henri!« Lina musste sich setzen. Die Schrift war gestochen, die Botschaft kurz.
    »Dies ist zwischen Dir und mir. Du wirst gehen, sofort und für immer. Du bittest mich, mit dir zu sprechen, aber es gibt für Deine Niedertracht keine Worte, die ich wiederholen könnte. M. ist tot, Du weißt, dass es durch Deine Schuld geschah. Ich komme übermorgen von der Beerdigung zurück, dann wünsche ich, dass Du gegangen bist.« Darunter nur der Name: »Rose«.
    Lina legte den Brief auf den Tisch, öffnete hastig das andere Bündel, blätterte die Servietten durch, riss die Tafeltücher aus der Maschine. Es gab kein zweites Schreiben. Wie denn auch? Er hatte seine Sachen gepackt, dazu eine Kiste mit Dingen, die er nie wieder anrühren sollte, und war gegangen. Kein Haus, keine Frau, kein Beruf, keine Familie. Ein schwarzes Seidenkleid, zwanzig Servietten, eine Teekanne mit Rosenmuster. Lina setzte den Wasserkessel aufs Gas. Dann rief sie ihre Mutter an.

    Sie musste es lange klingeln lassen, ehe Berta Weil abnahm.
    »Wo steckst du denn, Mama?«
    »Ich bin im Garten, Schnecken ermorden. Das Wetter ist ideal; es hat gerade geregnet.«
    » Was machst du?«
    »Ich schneide sie auseinander. Auf die Vernichtung meines Rittersporns steht nämlich die Todesstrafe. Aber stell dir vor, ich habe seit letzter Woche eine Erdkröte. Sie wohnt unter den Funkien und hilft mir. Ist das nicht praktisch?«
    »Eine Art
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