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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün
Autoren: Elsemarie Maletzke
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Henkerskröte?«
    »Mach dich nur lustig über deine alte Mutter. Ich hoffe, es gefällt ihr bei mir im Garten und sie bleibt. Es gibt genug zu tun. Wie war es bei Onkel Heinrich? Ich meine, habt ihr ausgeräumt? Wann ist die Testamentseröffnung?« Lina las ihr vor, was zwischen den Servietten heraus gefallen war.
    »Linchen, davon weiß ich nichts. Welche Niedertracht? M.? Wer soll das sein? Nein, die beiden hatten keine Kinder. Nicht, dass ich wüsste.«
    »Mama, streng dich an. Da muss es doch jemanden gegeben haben. Ein Verwandter von Rose? Ein Freund, der gestorben ist? Was hat Onkel Heinrich wohl getan? Wie kann er am Tod eines Menschen schuld gewesen sein!? Hat denn keiner von euch gefragt, als er so plötzlich auszog? Ist keiner mal nach Buchfinkenschlag gefahren? Sie war doch seine Frau.«
    Ihre Mutter schwieg.
    »Mama?«
    »Du musst wissen, dass Rose nicht mit Heinrich verheiratet war.«
    »Ach.«
    »Nein, es war eine Verbindung, die niemand in der Familie befürwortet hat. Außerdem war sie wesentlich älter als er. Wir haben sie nicht mehr besucht, nachdem Heinrich ausgezogen war. Das Haus gehörte ihr und wir dachten natürlich, er hätte sie verlassen. Dein Onkel war in dieser Sache ungefähr so aufgeschlossen wie eine Osterglocke im Februar und ganz sicher haben wir nicht nachgefragt. Das waren eben andere Zeiten als heute.«
    »Und warum waren sie nicht verheiratet?«
    »Mein Schäfchen, Rose war eine verheiratete Frau, aber eben anderweitig; nicht mit deinem Onkel Heinrich. Sie nannte sich trotzdem Weil. Wir fanden das ausgesprochen unpassend.«
    »Wie gut hast du sie denn gekannt?«
    »Nicht sehr gut. Ich war nur einmal mit deinem Vater und Tante Tilly und ihrem schrecklichen kleinen Jungen da – wie heißt er noch gleich?«
    »Eilemann – Horst«, sagte Lina.
    »Ja, richtig, der kleine Eilemann, was für ein lästiger Bengel das war! Wir haben Heinrich und seine Frau einmal zusammen in Buchfinkenschlag besucht. Das Haus ist prächtig, neugotisch, aber du kennst es ja. Ich glaube, ihr Großvater hatte es gebaut und ein sehr eindrucksvolles Arboretum angelegt. Sie hatten mindestens fünf Gärtner. Unvorstellbar heute.«
    »Arboretum?«
    »Bäume! Eine Sammlung einheimischer und exotischer Gehölze, und zwar nicht als finsterer Wald gepflanzt, ein Fehler, den heute so viele machen, sondern als herrliche Solitäre. Ich erinnere mich an eine Paulownia imperialis in der Blickachse zum Tor. Ein Blauglockenbaum«, erläuterte sie gnädig.
    »Und M.? War das ihr Ehemann? Wo steckte der?«
    »Ich weiß es nicht, niemand von uns hat ihn je gesehen.«
    »Aber …«
    »Hör mal, Lina, das ist jetzt über dreißig Jahre her und Heinrich ist tot. Wühl doch nicht in diesen alten Geschichten herum.« Und als stimme sie ein neues Lied in einer helleren Tonart an, rief sie: »Hat Karl dich heimgefahren? Was macht er denn, der alte Bücherwurm? Er hat sich so lange nicht mehr bei mir blicken lassen. Hast du viele Gäste? Ist dieser goldige Dirigent mit dem Buchweizenkissen und den Freikarten wieder da?«
    Als Lina aufgelegt hatte, goss sie kochendes Wasser über den Teefilter, kippte einen Schluck Whisky in die Tasse und nahm den Brief noch einmal zur Hand. Was immer die Worte von Heinrichs Frau bedeuteten, sie fühlte wie ihre erste Regung stärker wurde: Mitleid mit dem Davongejagten.

    Zur Testamentseröffnung im Büro des Notars fand sich in letzter Minute neben Lina, Karl und Vetter Eilemann ein kleiner Herr mit französischem Akzent ein, der dunklen Zwirn und Brillengläser dick wie Milchflaschenböden trug. Er stellte sich als der Rechtsvertreter einer fünften Partei vor, die in Heinrich Weils Testament Erwähnung fand, einer Madame Ernest Calvat, die bedauerlicherweise nicht persönlich anwesend sein konnte. Die Förmlichkeit des Anlasses, sein spätes Erscheinen und die flüchtige Vorstellung verhinderten sowohl das Begreifen seines Namens als auch jede Nachfrage. Schweigend erwarteten die vier auf ihren Stühlen das Öffnen eines braunen Briefumschlags im Format Din A5.
    Der Inhalt bestand lediglich aus einem mit der Hand beschriebenen linierten Blatt höchst überraschenden Inhalts. Heinrich Weil war nicht ganz so arm gestorben, wie es den Anschein hatte. Auf mehrere Konten verteilt waren vierzigtausend Euro angelegt, die am Ende des kommenden Monats zur Verfügung stehen würden. Seiner Schwester Tilly, die wegen ihrer Gebrechlichkeit nicht anreisen konnte und die aus dem Heim abzuholen ihrem Sohn
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