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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün
Autoren: Elsemarie Maletzke
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was sie zueinander sagen sollten. Drei Musketiere, dachte Lina, die auszogen, um Onkel Heinrichs guten Namen reinzuwaschen. Oder drei Erbschleicher, von denen jeder die versprochenen dreißigtausend Euro ergattern wollte. Bestimmt drei Amateure, die keine Ahnung hatten, wo sie anfangen sollten. Eine kleine Probebohrung:
    »Was hast du vor, Karl?« Er zuckte die Schultern.
    »Hat Onkel Heinrich Briefe oder ein Tagebuch hinterlassen? Danach sucht man doch wohl zuerst.«
    »Aber wir haben nichts bei ihm gefunden«, sagte Lina, »ich meine, nichts Schriftliches.«
    »Oder man redet mit Leuten, die ihn gekannt haben.«
    »Kennst du Leute, die ihn gekannt haben – außer uns?«
    Eilemann machte ein Ich-weiß-was-Gesicht.
    »Ich meine, ich hätte da eine heiße Spur. Ist schließlich mein Job.« Er tippte sich an die Nase, um seinen überragenden Spürsinn anzudeuten. »Aber ich werde den Teufel tun, sie euch zu verraten. Sucht ihr mal schön selber.«
    »Mach Witze«, sagte Karl, »heiße Spur. Du weißt doch gar nichts. Du hast dich ja dein Lebtag nicht um Onkel Heinrich gekümmert.«
    »Aber du Märchenonkel bist jede Woche mit Kuchen und Wein im Körbchen bei ihm aufgekreuzt und hast ihm was vorgelesen? Da möchte ich wetten.«
    Es geht schon los, dachte Lina. Wir streiten uns, ehe wir der Aufklärung von Marions Tod auch nur einen Schritt näher gekommen sind. Eilemann war ein aufgeblasener Wicht, einer von der Sorte, die sich selbst loben musste, weil es sonst niemand tat. Vielleicht ließ er sich ja in die Karten sehen, wenn sie ihn ein wenig würdigte.
    »Interessant. Was machst du eigentlich beruflich? Bist du vielleicht Detektiv, eine professionelle Spürnase? Gib mir doch mal deine Telefonnummer. Falls sich was ergibt.« Sie schrieb ihm ihre Mobilnummer auf den Briefumschlag, in dem jedem der drei eine Kopie des Testaments ausgehändigt worden war. Im Gegenzug öffnete der Vetter ein glänzendes Etui, entnahm ihm zwei Visitenkarten und reichte sie den Miterben. Horst K. Eilemann, las sie, Journalist und Autor und in Klammern VdCr.
    »Was ist das für ein Verein?« Lina konnte nicht widerstehen. »Chaosbrüder?«
    Eilemann lachte mit, als ihm der Stachel in die Seite fuhr. Das würde sie ihm büßen. Arrogante Kuh. Immer schon. Immer schon was Besseres. Und immer schon so krottenhässlich. Trotzdem ewig vorgezogen. Warum sollte er sich um Onkel Heinrich gekümmert haben? Der Kerl hatte sich ja auch nicht um ihn gekümmert. Wunders was hatte man dem Knaben Horst von der Villa Buchfinkenschlag vorgeschwärmt. Nur einmal war er da gewesen und dann hatten sie alle am Kaffeetisch gehockt, die Erwachsenen, das übliche dumme Geschwätz. Von wegen Schwimmbad und Wald. Er war in der zwickenden Badehose, die er vorsorglich drunter gezogen hatte, wieder nach Hause gefahren. Nie hatte Onkel Heinrich ihn eingeladen, immer nur die kleine Kröte, das Linchen. Horst Eilemann wurde rot und sein Mund entgleiste, als wolle er diese alten Erwachsenen nachäffen: das Linchen, das drollige kleine Linchen. Dann riss er sich zusammen.
    »Verband deutscher Chefredakteure«, erwiderte er würdevoll. Den hat er wahrscheinlich selbst gegründet, dachte Lina und ist das einzige Mitglied. Auch das K. in seinem Namen war ihr neu. Knatterton? Dass sie Vetter Eilemann gerade schwer beleidigt hatte, war ihr entgangen. Er sollte sie zu gegebener Zeit daran erinnern.
    »Ach, du machst eine Zeitung? Wusste ich gar nicht.«
    »Extravagant – das führende Lifestylemagazin.«
    »Nie gehört«, sagte Karl.
    »Da brauchst du dir nichts drauf einzubilden«, schnappte Eilemann. »Es gibt ein Leben außerhalb deiner Muffbude.«
    »Und wenn deine heiße Spur ein Erfolg ist«, wandte Lina friedfertig ein, »was willst du mit dem ganzen Reichtum machen?«
    »Verreisen zum Beispiel, sehr weit weg. Da, wo ich euch Nasen nicht mehr zu sehen brauche.«
    »Danke gleichfalls«, sagte Karl.
    Lina konnte es nicht lassen.
    »China? Chernobyl? Chamonix?«
    »Was?!«
    »Reg dich nicht auf. War nur Spaß.«
    Aber Spaß war das Letzte, das Horst Eilemann verstand.

    Die Schachtel mit den Fotos aus Buchfinkenschlag steckte in der untersten Schreibtischschublade, die Lina die Leprakolonie nannte, weil Dinge darin verschwanden, die sie dem Vergessen überantwortet hatte, ohne sich von ihnen befreien zu können: zwei Briefe, eine zusammengefaltete Speisekarte, die Kassette aus ihrem alten Anrufbeantworter, eine Plastikrose von einer Schießbude, das Poesiealbum, in das
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