Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün
Autoren: Elsemarie Maletzke
Vom Netzwerk:
von einer dreizehnten Fee mit einem dünnen Blondschopf und diesen grotesken Augen bedient worden. Ihre Figur war klein und proper, aber sie zog es vor, sich in zweckmäßige Stoffe und ungefährliche Farben zu hüllen. Inzwischen hatte ihre Mutter aufgehört, sie ihren kleinen Kobold zu nennen, und mit vierzig war Lina besser gewappnet als mit vier, wenn auch nicht lückenlos, was dazu führte, dass sie nicht jeden Spaß verstand und ihrerseits von anderen nicht immer verstanden wurde, die ihre Ironie etwas herb fanden.
    Sie ließ das Seidenkleid sinken und fühlte mit der Enttäuschung die Gier aufsteigen. Nicht nur auf das Kleid, sondern auf all die schönen Dinge, die der Onkel im Schrank wie ein Geheimnis aufbewahrt hatte. Hier hatten sie auf Lina als ihrer neuen, rechtmäßigen Besitzerin gewartet. Karl mochte einen Leuchter und die Hälfte des Bestecks haben, doch der Vetter Eilemann, den man jede Minute erwartete, musste auf jeden Fall ausgeschaltet werden. Sie stülpte einen Karton um, faltete die Zeitungen auseinander, griff in den Schrank und begann schnell zu packen, nahm das Silber und die Kerzenständer, hob das Porzellan von den Borden, schlug es in Papier ein und bettete es nebeneinander, die steifen Tischdecken darüber, die Serviettenbündel in die Ecken, fühlte sich befriedigt und schändlich zugleich, wie sie die Dinge, die so lange unverrückt nebeneinander gestanden hatten und deren innere Verwandtschaft nur der Onkel kannte, auseinanderriss und plünderte. Zum Schluss nahm sie das Seidenkleid vom Bügel und ließ es in den Karton gleiten.

    Karl öffnete die Tür. »Unser Vetter ist da.« Man hörte seine Stimme bereits im Flur. Die Hausbesitzerin Kerz hatte einen weiteren Versuch unternommen, in die Wohnung ihres ehemaligen Mieters vorzudringen. Die laute Rede war von Rückständen, einer Sauerei und Renovierungskosten. Vetter Eilemann, in dem auch Onkel Heinrichs Gene kreisten, blaffte zurück, das werde man ja sehen; er werde einen Rechtsanwalt einschalten.
    Der dritte Erbe erschien in einem blauen Blazer mit Goldknöpfen und hatte wegen des beabsichtigten Eindrucks, ein vielbeschäftigter Mann zu sein, der sich nur kurz einer privaten Angelegenheit widmen konnte, den Schlips gelockert. Neben einem Diplomatenköfferchen trug er nur einen kleinen Stoffbeutel mit dem Aufdruck eines Reformhauses. Sehr bald stellte sich heraus, dass er weder an Büchern noch Besteck interessiert war, sondern an der Münzsammlung seines Onkels. Karl, der auf einem Karton wie Captain Hook auf dem Schatzkoffer saß, gab ihm mit großer Geste zu verstehen, dass er keine Einwände erhebe, Lina nickte Zustimmung und der Vetter machte sich rasch und gründlich an die Fahndung.
    Lina glaubte, dass er gern etwas Ungünstiges über die ärmliche Wirtschaft gesagt hätte, dass ihn aber ein Rest Genierlichkeit zurückhielt, und er deshalb um so heftiger an den Schubladen riss und die Schiebetüren des Buffets zurückschmetterte. Die Münzen waren bald gehoben. Vetter Eilemann gestattete sich nur einen kurzen Blick auf die Plastikfächer des Albums, als wolle er verhindern, dass goldene Taler und Dublonen seinen Miterben in die Augen stachen, steckte den Band ein und schulterte den Beutesack.
    »Möchtest du sonst noch etwas?«, fragte Karl von seinem Thron. »Den Sessel? Die Weingläser? Eins von den Bildern?«
    »Ach was, das alte Gelump!«, sagte der Vetter lachend und mit einer Handbewegung, die Lina von Onkel Heinrich bekannt vorkam. »Weg damit. Zum Roten Kreuz oder in den Müll. Es gibt Firmen, die das erledigen. Oder man müsste einen Container bestellen.«
    »Du?«, fragte Karl.
    »Nee, macht ihr das mal. Und kümmert euch um die alte Schachtel da im Treppenhaus. Ich muss weiter, hab’ noch Termine. Viel Spaß!« Er lachte über irgendetwas und ging so schnell, wie er gekommen war.
    »Unser Eilemann«, sagte Karl. »Ich bin kein Numismatiker aber ich glaube nicht, dass er mit Onkel Heinrichs Zechinen einen tollen Fang gemacht hat. Nimmst du die Gläser?«
    »Aber gerne«, sagte Lina. »Und du? Was hast du in deiner alten Schachtel?«
    »Oh, das eine oder andere«, erwiderte Karl und machte ein Gesicht wie die Katze, die gerade den Kanarienvogel gefressen hat. Lina wusste, dass ihr Bruder über seine Verhältnisse lebte. Außer mit Büchern und bunten Hemden umgab er sich mit wenig beweglicher Habe, besuchte jedoch regelmäßig Spielcasinos, eine Gewohnheit, die noch keinen dauerhaft reich gemacht hatte. In Onkel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher