Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün
Autoren: Elsemarie Maletzke
Vom Netzwerk:
und drückte den freien Arm gegen die Mauer. Der Beckenrand war glatt und nicht einmal handbreit. Sie spannte sich, hob sich langsam auf die Zehen, schob mit den Fingerspitzen den Schrubber bis in die Luke und gab ihm mit letzter Kraft einen Schubs. Wieder verlor sie ihn, wieder musste sie auf die Steinfliesen springen; der Schrubber schlug neben ihr auf den Beckenrand, aber der Schuh blieb oben, rutschte langsam über die Kante nach draußen und fiel mit einem leisen Plopp Johann Gerswiller vor die Füße.

    Von den fünfzehn Minuten, die Eilemann ihm für einen Rückruf eingeräumt hatte, nutzte Gerswiller zwei zum Nachdenken. Er spreizte seine Hände. Sie zitterten kaum. Die Wut sollte ihn nicht treiben; die Wut und die schwarze Galle, die ihn vergiftete, seit Bruant ihm gedroht und seinen Garten vernichtet hatte. Seitdem hatte er immer nur das Nächste getan, sturheil voraus, wie einer, dem der Kopf abgeschlagen worden war und der immer noch weiterrannte. Lina hatte ihn festgehalten, ausgerechnet Lina, die ihren Finger in eine Wunde gesteckt hatte, von der er geglaubt hatte, sie habe sich geschlossen. Und nun dieser Idiot von Kidnapper mit seinen dreckigen Griffeln und seinem Ultimatum. Das Nächste war, die beiden zu finden.
    Weit konnten sie nicht gekommen sein. Im weichen Leder des Fahrersitzes hatte sich noch die Form ihres Hinterns abgezeichnet, als er mit dem Rosenstrauß eingestiegen war. Zuerst hatte er sie im Haus gesucht. Er war gereizt, denn er konnte zwar auf das Erscheinen einer Osterglocke, aber nicht auf eine Frau warten. Als sein Handy zu zirpen begann und ihr Name auf dem Display erschien, wollte er seinem Ärger Luft machen, begriff aber schnell, dass er statt Lina ihren Entführer in der Leitung hatte; eine hämische Stimme, überschnappend, ein Amateur. Was sollte das heißen, es ging ihr nicht gut? – Lina mit ihren Kulleraugen, eine halbe Portion, aber vom gleichen Kaliber wie Rose; unbeirrbar wie die Komantschen auf dem Kriegspfad, streng mit sich selbst, dabei nichts von Jungfer Zimpf unter der Verkleidung und tapfer; jedenfalls hoffte er das für Lina. War sie verletzt? Hatte der Kerl sie gequält? In irgendein Loch gesteckt? Nun zitterten seine Hände doch. Eilemann war ein Stümper, aber er würde nicht den Fehler machen, ihn zu unterschätzen.
    Gerswiller nahm sein Kleinkalibergewehr vom Schrank, klappte es auf und schob zwei Patronen in die Läufe, steckte sein Handy in die Hosentasche, schloss die Tür hinter sich und rannte durch den Obstbaumhain zum großen Haus hinüber. Wenn der Kerl Lina nicht bewusstlos geschlagen oder geknebelt hatte und dann irgendwo draußen in Deckung gegangen war, konnten die beiden nur dort sein. Aber Gerswiller hielt Eilemann nicht für den Typ, der sich gern ins nasse Gras setzte. Außer dem Weg durch das Wäldchen zu seiner gelben Rose, den er selbst gegangen war, gab es nur noch einen weiteren Trampelpfad durch den Park und der führte nach Buchfinkenschlag; ein großes Versteck, aber kein sicheres. Die Fußböden in den oberen Stockwerken trugen nur noch an Stellen, die er allein kannte. Ein Entführer, womöglich mit einer menschlichen Last, würde dort nicht hinaufsteigen. Er verharrte hinter einem der steinernen Torpfosten zwischen Garten und Haus, alle Sinne gespannt, atemlos, bis ihm das Blut in den Ohren summte. Eine Elster flog tschackernd von einer Gaube und brachte eine abgerissene Dachrinne zum Schwanken. Dann war es wieder still und nur der Regen flüsterte mit den Blättern.
    Und wenn Eilemann sie gezwungen hatte, mit ihm zur Straße zu gehen, wo er seinen Wagen abgestellt hatte? Aber er hatte kein Motorengeräusch gehört. Dafür erkannte er auf dem schlammigen Weg die Spur eines Turnschuhs und daneben einen nackten Fußabdruck. War sie arglos mitmarschiert?
    Schnell lief er zur Rückfront und drückte sich durch die Hintertür. Als sich sein Atem beruhigt hatte, hörte er sie singen, sehr leise, von weit unten, und er ließ das Gewehr sinken, weil er auf die Schwäche, die ihn überfiel, nicht gefasst war. Sie sang sich Mut zu. Sie sang, weil sie mit ihm rechnete. Sie rechnete mit einem, auf den niemand zählen konnte. Marion nicht, Rose nicht. Lina würde er da rausholen und dem Kerl aufs Maul schlagen, aber das war es. Er konnte sie nicht behalten. Es war nichts gutzumachen. Wie die Dinge lagen, musste jeder auf sich selbst aufpassen. Er lief weiter wie ein Geist, von Tür zu Tür, um die Glasscherben herum, die Schutthaufen und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher