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Susan Andersen

Susan Andersen

Titel: Susan Andersen
Autoren: Rosarot in Seattle
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PROLOG
Liebes Tagebuch,
ich werde nie verstehen, warum die Leute ihre Wände weiß streichen. Wenn ich könnte, würde ich die ganze Welt bunt malen.
13. Juni 1992
    N  a, was denkst du?“
Die dreizehnjährige Poppy Calloway hakte sich mit dem Fuß an der oberen Stufe der Leiter fest. Erst dann sah sie zu ihrer Freundin Jane, die die Frage gestellt hatte. Jane versank fast in einem riesigen Malerkittel. Ihr glattes braunes Haar hatte sich aus der Haarspange gelöst. Hinter den Scheiben des zweiflügeligen Fensters, dessen Rahmen sie sorgfältig gestrichen hatte, schoben sich dunkle Regenwolken über den Himmel. Oberhalb der Space Needle aber hatte sich ein purpurblauer Lichthof gebildet.
    „Sieht toll aus, Janie.“ Poppy bewunderte das samtige Cremeweiß vor der melonengrünen Wand. „Die Fensterrahmen sind am schwierigsten.“ Sie blies sich eine blonde Locke aus der Stirn und warf Jane ein Grinsen zu. „Darum habe ich dir die Aufgabe überlassen.“
    Ein schiefes Lächeln erhellte Janes ernstes Gesicht. „Also bin ich die Dumme in unserer Schwesternschaft?“
    „Nö. Ich wusste nur, dass du es gut machen würdest.“ Poppy wandte sich an die Dritte im Bunde. Die rothaarige Ava verspeiste gerade ein Milky Way und tanzte zu Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“. Sie hatten einen Ghettoblaster mit zu Miss Agnes gebracht. „Und? Hast du eigentlich vor, uns irgendwann heute noch mal zu helfen?“
    Mit schwingenden Hüften und sich rhythmisch dazu bewegenden Armen warf Ava Poppy einen Blick quer durch den Raum zu. „Gleich. Ich kommuniziere gerade mit Kurt Cobain.“
    „Du kommunizierst mit ihm, seit du diese Nevermind- Kassette mitgebracht hast. Wie lange ist das her? Sechs Monate? Mach das doch mit einem Pinsel in der Hand.“
    „Ach, Pop. Du weißt doch, dass ich diesen körperlichen Kram nicht so gut drauf habe.“
    Poppy beäugte Avas fließende Bewegungen. „Du bist doch diejenige, die gut genug tanzt, um bei einem MTV-Video mitzumachen.“
    Tiefe Grübchen zeigten sich auf Avas Wangen, als sie entzückt lächelte. Doch fast gleichzeitig gab sie ein spöttisches Geräusch von sich. „Ja, klar. Als ob die ausgerechnet meinen fetten Hintern in einem ihrer Videos brauchen könnten. Da gibt’s doch nur dünne Mädchen wie dich und Jane.“
    „Dann leg den Schokoriegel weg und schnapp dir einen Pinsel – vielleicht verbrennst du so ein paar Kalorien.“
    „Poppy“, protestierte Jane.
    Schulterzuckend wandte Poppy sich wieder ihrer Malerarbeit zu, zugleich reumütig und ungeduldig. Sie wusste, dass sie gemein gewesen war. Doch es war einfach schwer, immer und immer wieder echtes Mitgefühl aufzubringen. Ihr Gewicht war für Ava ein ständiger Quell des Unglücks. Trotzdem tat sie nie etwas dagegen.
    Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Ava zu einer leeren Farbwanne stapfte und dann in die Hocke ging, um Farbe einzufüllen.
    „Tanzen verbrennt Kalorien“, murrte Ava, während sie begann, den unteren Teil der Wand zu streichen. Bis hier war Poppy mit ihrem Roller nicht gekommen.
    „Das ist wahr. Aber auf diese Weise werden Wände nicht gestrichen.“ Und doch hatte Ava nicht ganz unrecht, daher machte Poppy ihr das erstbeste Friedensangebot, das ihr in den Sinn kam. „Diese Courtney Love ist echt nicht die Richtige für Cobain.“
    „Ich weiß!“ Ava rieb die Wange an ihrer Schulter, um eine Haarsträhne wegzuwischen, die sich in ihrem Mundwinkel verfangen hatte. Wieder blitzten Grübchen in ihren prallen Wangen auf, als sie zu Poppy hinaufsah. „Ich glaube, er schlägt mit ihr nur die Zeit tot, bis ich alt genug bin, um ihn zu heiraten.“ Sie nickte weise. „Männer brauchen Sex, weißt du?“
    „Ganz bestimmt ist das der Grund.“
    „Zweifellos“, stimmte Jane zu.
    „Aber du kannst Cobain ruhig haben“, fügte Poppy hinzu. „Ich warte weiter auf meinen Scheich.“
    Als sie den Scheich erwähnte, den sie sich letztes Jahr beim Zelten im Garten ausgedacht hatten, kreischten Ava und Jane los. Insgeheim musste Poppy einen Schauder unterdrücken. Denn der dunkle, überlebensgroße schlanke Mann ihrer gemeinsamen Fantasien entsprach tatsächlich ihrer ganz persönlichen Vorstellung vom Traummann. Aber ein stinknormaler Freund wäre erst mal auch nicht zu verachten.
    „Seid ihr Mädchen bereit für eine Pause?“
    Beim Klang von Agnes Bell Wolcotts dunkler, markanter Stimme drehten sich alle drei zur Tür. Dort stand Miss A., vom todschick frisierten Scheitel bis zu den teuren Schuhen in
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