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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
Autoren: Mike Carey
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    N ormalerweise trug ich einen zaristischen Armeemantel – mitunter auch als Paletot bezeichnet – mit eingenähten Taschen für meine irische Tin Whistle, mein Notizbuch, einen Dolch und einen Becher. An diesem Tag hatte ich mich für einen grünen Smoking mit einer künstlichen welken Blume im Knopfloch, pinkfarbene Lacklederschuhe und einen aufgemalten Groucho-Marx-Schnurrbart entschieden. Von Bunhill Fields im Osten fuhr ich quer durch London – das Zentrum meiner Kraft. Ich musste allerdings zugeben, dass ich mich alles andere als stark fühlte. Wenn man aussah wie ein Pistazieneis samt Waffel, war es nicht so einfach, den harten Burschen herauszukehren.
    Die Wirtschaftsgeografie Londons hatte sich in den vergangenen Jahren erheblich verändert, aber Hampstead war geblieben, was es immer gewesen war, und an diesem kalten Novembernachmittag, als ich für Sünden büßte, die ich nicht zählen konnte, und in etwa so fröhlich aussah wie eine Tricoteuse, die soeben erfahren hatte, dass die täglichen Hinrichtungen wegen schlechten Wetters abgesagt worden waren, wollte ich nach Hampstead.
    Um genau zu sein, mein Ziel war Grosvenor Terrace Nummer 17: ein bescheidenes kleines frühviktorianisches Meisterwerk, von Sir Charles Barry in der Mittagspause zusammengeschustert, während er den Reform Club erbaute. Ob es einem gefiel oder nicht, es war aktenkundig: Für einen Tausender bar auf die Hand nahm der große Mann nebenher jeden Auftrag an und bediente sich vom Material des Projekts, an dem er jeweils gerade offiziell arbeitete. Man konnte seine illegitime architektonische Nachkommenschaft überall von Ladbroke Grove bis Highgate antreffen und hatte ständig ein unbehagliches Déjà-vu-Gefühl, als sähe man die Nase des Milchmanns im Gesicht seines Erstgeborenen.
    Ich parkte den Wagen weit genug von der Haustür entfernt, um dem Haushalt, den ich besuchen wollte, eventuelle Peinlichkeiten zu ersparen, und bewältigte die letzten einhundert Meter, bepackt mit vier Reisekoffern voll hochspezialisierter Ausrüstungsgegenstände, zu Fuß. Die Türklingel gab einen schneidenden, zweckdienlichen Summton von sich, der klang wie der Bohrer eines Zahnarztes, der von widerspenstigem Zahnschmelz abrutschte. Während ich auf eine Reaktion wartete, betrachtete ich den Vogelbeerzweig, der rechts neben der Haustür an die Wand genagelt war. Schwarze, weiße und rote Bänder waren in der vorgeschriebenen Reihenfolge daran befestigt, aber dessen ungeachtet … ein Vogelbeerzweig im November hatte sicher nicht mehr allzu viel Saft in sich. Ich kam zu dem Schluss, dass dies eine sehr ruhige Gegend sein musste.
    Der Mann, der die Tür öffnete, war vermutlich James Dodson, der Vater des Geburtstagskinds. Ich entwickelte sofort eine tiefe Abneigung gegen ihn, um Zeit und Mühe zu sparen. Er war ein massiv wirkender Mann, nicht groß, aber steinhart: graue Augen wie Kugellagerkugeln, grau meliertes Haar, das den grauen Gesamteindruck auf seine Art unterstrich. In den Vierzigern, aber wahrscheinlich genauso fit und gepflegt wie zwanzig Jahre zuvor: zweifellos jemand, der genau wusste, wie wichtig gute Ernährung, regelmäßige sportliche Betätigung und ständige moralische Überlegenheit waren. Pen hatte gesagt, er sei Polizist: Polizeipräsident in spe, der in der Agar Street als einer der Geburtshelfer des neuen Regierungsdezernats für Organisiertes und Kapitalverbrechen arbeitete. Ich hätte bei ihm wahrscheinlich auf Polizist oder Priester getippt, wobei die meisten Priester sich großzügig gehen ließen, noch ehe sie die vierzig erreicht hatten: Das war eine der Vergünstigungen, wenn man einer höheren Berufung folgte.
    »Sie sind also der Alleinunterhalter«, sagte Dodson, wobei es eher klang wie »Sie sind ein wertloses Stück Scheiße und haben meinen Hund vergewaltigt«. Er machte keine Anstalten, mir bei den Koffern zu helfen, von denen ich je zwei in einer Hand trug.
    »Felix Castor«, bestätigte ich, meine Miene alleinunterhalteruntypisch neutral. »Ich sorge stets für gute Laune.«
    Er nickte unverbindlich und öffnete die Tür ein Stück weiter, um mich einzulassen. »Es werden wohl mehr Kinder sein als ursprünglich angegeben. Ich hoffe, das macht nichts.«
    »Je mehr, desto besser«, antwortete ich über die Schulter und ging weiter. Ich musterte das Wohnzimmer mit einem, wie ich hoffte, professionell wirkenden Blick, aber es war für mich nur ein belangloser Raum. »Das ist gut. Alles da, was ich brauche.
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