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GIERIGE BESTIE

GIERIGE BESTIE

Titel: GIERIGE BESTIE
Autoren: Thomas Müller
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kannte, wenn die Großmutter an verregneten Wochenenden den Familienschmuck präsentierte und in einem dieser flachen Schatullen eine schöne Perlenkette um eine runde, den Halsansatz nachgebildete Erhöhung gelegt war. Nun hielt er diese Schatulle in der Hand und überreichte sie mir. Was sollte ich jetzt tun? Ich hatte mir all die Zeit geschworen, nie auch nur einen einzigen Blick auf all das zu werfen, von dem alle kryptisch nur von den Daten und Informationen sprachen. Ich wollte es gar nicht wissen. Ich wollte nicht selbst Richter spielen. Ich wollte auftragsgemäß und im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen handeln. Aber jetzt konnte ich einfach nicht anders. Mit einem kurzen Blick zur Seite, der mir bestätigte, dass sich kein Mensch für uns interessierte, denn die Hektik war einfach zu groß, öffnete ich die kleine Schatulle und blickte auf eine kleine silberne Scheibe, eine einfache CD.
    Daneben lag in der Größe eines Zippo-Feuerzeuges ein Computerstick, der für ein paar Euro in jedem Computergeschäft erworben werden konnte. Keine Aufschrift, farblos, nichts sagend.
    Fast hätte ich ihn in meiner konservativen, naiven Haltung allen elektronischen Dingen gegenüber gefragt: „Ist das alles?“ Doch dann fiel mir ein Bild ein, das ich vor Jahren in einem Magazin gesehen hatte, auf dem Bill Gates auf einer Baumkrone, sich an eine Art Seil anklammernd, auf einem Stapel Papier saß, der 15 oder 20 Meter hoch war. Darunter stand geschrieben, und der Text erläuterte die kleine CD, die Bill Gates lächelnd in der Hand hielt, dass der neu entwickelte Datenträger so viele Informationen beinhalten könnte wie all das Papier, auf dem der reichste Mensch der Welt saß. Für den Stick gab es für mich kein Bild, das ich aus meinem Gedächtnis hervorkramen konnte, aber ich vermutete einfach, dass man noch um ein Vielfaches mehr an Informationen, Bits und Bytes, Bildern, Darstellungen, Zeichnungen, Fotos, Daten, Listen und was weiß ich noch alles darauf speichern konnte. Ich schloss die Schatulle, legte sie zurück, schloss die Tür, drehte den Schlüssel um, rüttelte zweimal und wählte eine ewig lange Nummer einer weit entfernten Institution.

vierzig
    Tage später ...
    Die letzten neun Stunden unserer gemeinsamen Reise waren wahrscheinlich welche der interessantesten in meinem gesamten Leben. Ello Dox wurde zum Privatdozenten und ich versuchte den Schüler zu mimen. Er hielt sein Versprechen und veranstaltete eine delikate, tiefgründige, mit Sicherheit aber eine der praktisch interessantesten Vorlesungen, die ich in all den 22 Jahren meines Lebens, die ich auf unterschiedlichen Schulbänken verbracht hatte, miterleben durfte. Zunächst zeigte er mir auf, dass in der Entwicklung von Menschen, die am Arbeitsplatz an den Rand der Verzweiflung kommen, nichts dem Zufall überlassen ist. Meistens fügt sich ein Ereignis nahtlos an das andere. Es ist eine Verbindung aus privaten, beruflichen und persönlichen Stress-Situationen, die ähnlich einem geflochtenen Zopf zu einem fast nicht mehr zerreißbaren Seil werden, das die Person langsam aber stetig in den Abgrund zerrt. Jeden Versuch, alleine dagegen anzukämpfen, verglich er mit dem Versuch, in einem Treibsandloch steckend, durch stete Bewegungen allein wieder herauszukommen. Als hervorragender Naturpsychologe erläuterte er mir seine Beobachtungen, wie manche Menschen zunächst mit krasser Selbsteinschätzung, aber auch haarsträubenden Kompensationsversuchen versuchten, solchen Stress-Situationen zu entrinnen. Er beschrieb die kleinen Helferlein, wie ein paar Flaschen, weißes Pulver, Tabletten oder die vermeintlich entspannenden Stunden mit wahllos ausgesuchten Personen von der Straße.
    „All diese Versuche müssen“, so meinte er, „unwillkürlich fehlschlagen. Damit beginnt sich der Teufelskreis zu drehen.“ Dox erläuterte mir, wie er versucht hatte, ganz gezielt ganz bestimmte Personen anzusprechen, um langsam aber sicher an Informationen und Sicherheitssysteme heranzukommen. Er erläuterte mir einzelne Schwachstellen, von denen er ausging, dass sie so offensichtlich waren, dass sie niemand sah, weil niemand an sie dachte.
    Er zeigte die einzelnen Handlungsstränge auf, wo eine Fehlinterpretation unwillkürlich sich in einer zweiten fortsetzte und schlussendlich zu einem Rattenschwanz von falschen Entscheidungen wurde, bei dem eins und eins nicht mehr zwei, sondern fünf oder sechs ausmachte. Aber vor allem begann er mir Erklärungen dafür
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