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Gier

Gier

Titel: Gier
Autoren: Arne Dahl
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des Landeskriminalamts Berlin herrschten. Dort war sie Kriminalobermeisterin gewesen und hatte sich mit organisierter Kriminalität und ausgeklügeltem Bandenwesen herumgeschlagen, wovon Deutschland gegenwärtig geradezu überschwemmt wurde. Neben den russischen und osteuropäischen Gruppierungen unterwanderte auch die italienische Mafia, allen voran die Königin des europäischen Kokainhandels, die geheimnisvolle ’Ndrangheta aus Kalabrien, die Gesellschaft. Im Westen Deutschlands war es nach wie vor am schlimmsten – Nordrhein-Westfalen wurde regelrecht überrollt von internen Auseinandersetzungen der Mafia. Schließlich hatte die Arbeitsbelastung im Landeskriminalamt so bizarre Formen angenommen, dass selbst Jutta Beyer bereit war, ihre gewohnte Umgebung zu verlassen und sich auf etwas Neues einzulassen.
    Da kam das Angebot von Europol.
    Am 1. Juli würde die europäische Polizeibehörde Europol ihr zehnjähriges Jubiläum feiern, und bis zum Ende des Jahres sollte eine Umstrukturierung stattfinden. Außerdem plante man, aus dem mit Efeu umrankten ehemaligen Schulgebäude im schönsten Stadtviertel von Den Haag in einen riesigen Wolkenkratzer mit Büroetagen umzuziehen – Europol sollte zu einer formellen EU-Behörde werden. Nach wie vor war Europol eine nichtoperative Instanz, deren Mitarbeiter weder Personen festnehmen und verhören noch bei Verbrechen ermitteln durften, doch nun erstreckte sich das Mandat auf alle Formen von grenzüberschreitenden Verbrechen. Die Beschränkung auf organisierte Kriminalität galt nicht mehr. Die meisten Eingeweihten waren sich darin einig, dass dies ein deutlicher Schritt hin zu einer Europapolizei war, zu einem europäischen FBI.
    Jutta Beyers Enthusiasmus darüber, an diesem historischen Ereignis teilhaben zu können, kannte keine Grenzen. Sie liebte historische Ereignisse, seit man sie als Zwölfjährige auf die Berliner Mauer gehoben hatte, während die Menschen aus dem Osten und Westen zu beiden Seiten das Gestein mit Hämmern und Hacken traktierten. In ihrem hellblauen Kleid, ihren Teddy in der Hand, stand sie auf einem niedrigen Mauersockel und blickte hinüber in den Westen. Zahlreiche Zeitungen rund um den Globus veröffentlichten Fotos von ihr. Historische Fotos.
    Und historische Dimension könnte ihre neue Aufgabe auch haben.
    In Berlin ließ sie niemanden zurück, sie hatte keine Familie und auch keine engen freundschaftlichen Verbindungen. Da war es ein wunderbares Gefühl, dem ausufernden Kleinkrieg gegen rechtsextremistische Banden, brutale russische Mafiosi mit niedrigem Intellekt, italienische Unterhändler und dem Füllhorn von Drogenhändlern den Rücken zu kehren und sich stattdessen dem Gebiet der weitaus bedeutenderen organisierten Kriminalität zuzuwenden.
    Ihr Enthusiasmus erlosch jedoch rasch. In Den Haag war sie in einer internationalen Gruppe gelandet, deren Auftrag und Grenzen erstaunlich unscharf definiert waren. Oft hatte sie versucht, den operativen Chef der Gruppe – allein diese Bezeichnung in einer nichtoperativen Gruppe – zu einer Erklärung zu bewegen, worum es bei dem Ganzen eigentlich ging. Der Mann war extrem professionell und sympathisch, aber sie hatte den Eindruck, dass er ihr etwas vorenthielt. Ja, der gesamten Gruppe. Deren Mitgliederzahl auf absurde Art ebenfalls diffus war.
    Zumindest das hatte der Chef ihr verraten: Die Strukturen der Gruppe waren gewollt flexibel. Das war der tiefere Sinn. Diejenigen, die nach Den Haag umgezogen waren, bildeten nur den harten Kern, denn diejenigen, die in ihren Heimatländern arbeiteten und sich nur zeitweise dem Team anschlossen, machten einen ebenso großen Teil der Mannschaft aus. Aber in welcher Hinsicht sich die neue Opcop-Gruppe eigentlich von ihrer Mutterorganisation Europol unterschied, blieb unklar. Zumal diese Europol Liaison Officers, diese verdammten ELOs, auch bei ihnen überall herumsprangen.
    Einen Monat war sie jetzt hier, seit dem 1. März, und in dieser Zeit hatte sie sich hauptsächlich damit beschäftigt, Papiere hin und her zu schieben und sich mit dem Computersystem vertraut zu machen. Aber eigentlich verbrachte sie die meiste Zeit damit, sauer zu sein, da sie nicht genau wusste, was sie tun sollte und vor allem tun durfte. Es kam ihr vor, als wären der gesamten Europol-Behörde auf merkwürdige Weise die Hände gebunden.
    Sie war
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