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Gier

Gier

Titel: Gier
Autoren: Arne Dahl
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eine Polizistin, die die Dinge endlich anpacken wollte, aber klare Richtlinien und Grenzen benötigte.
    Doch bislang bestanden die Aktivitäten der Opcop-Gruppe hauptsächlich in Zusammenkünften. Sitzungen, bei denen man sich in erster Linie mit administrativen Fragen beschäftigte. Und zu einer solchen war sie auch an diesem frühen Montagmorgen Anfang April unterwegs.
    In Den Haag, dieser seltsamen kleinen Puppenstubenstadt, hatte der Frühling Einzug gehalten. Es war in der Tat ein sehr schöner Morgen, an dem sie durch die Stadt radelte. Obwohl sie auch in Berlin häufig mit dem Rad unterwegs gewesen war, empfand sie den holländischen Radfahrer als sehr eigene Spezies. Die Leute fuhren, wie es ihnen gerade passte, bevorzugt mit drei, vier Kindern auf dem Lenker und einer Ente oder Guillotine auf dem Gepäckträger, entgegen allen Verkehrsregeln. Wo Jutta Beyer Regeln doch so schätzte.
    Daher war es nahezu ein versöhnlicher Anblick, als sie den Raamweg hinaufradelte und sich das von wildem Grün umrankte Europol-Gebäude wie eine Oase nach einer langen Wanderung durch die Wüste vor ihr auftürmte. Als sie auf den Parkplatz einbog, bot sich ihr ein eigentümliches Bild. Das Gebäude von Europol sah irgendwie aus wie ein Weihnachtsbaum, den man mittels einer Schrottpresse zusammengefaltet hatte. Als sie beinahe mit Marek Kowalewski kollidierte, dem polnischen Kollegen mit dem etwas zu breiten Lächeln, verflüchtigte sich das Bild. Sie parkten ihre Fahrräder nebeneinander.
    Â»Sollen wir sie zusammenschließen?«, fragte Marek und rasselte wie ein Gespenst mit seinem Fahrradschloss.
    Â»Lieber nicht«, entgegnete Jutta und schloss ihr Fahrrad mit der eigenen Kette an.
    Dass sie anschließend gemeinsam durch die Korridore zum Versammlungsraum gingen, konnte Jutta kaum vermeiden. Ebenso wenig wie die Begegnung mit der außergewöhnlich brüsken Rumänin Lavinia Potorac – einer ehemaligen Turnerin mit durchtrainiertem Körper, der stets in sackartiger Kleidung steckte, und einem unerträglichen Charakter. Sie kam gerade aus der Damentoilette und grüßte mit einem kurzen Nicken. Vor der Tür zum Versammlungsraum stand der elegante Madrilene Felipe Navarro und richtete gerade den Knoten seiner Krawatte. Lavinia Potorac schüttelte mit finsterer Miene den Kopf, zog ihren Ausweis durch das Lesegerät, tippte den Code ein und stieß die Tür mit voller Wucht auf. Navarro stoppte die Tür mit der Hand und hielt sie Jutta und Marek mit einer galanten Geste auf. Keiner der beiden dankte ihm.
    Der Rest der bunten Schar hatte bereits Platz genommen. Jutta registrierte Miriam Hershey aus London und Laima Balodis aus Wilna, die bereits beste Freundinnen waren; daneben den etwas weltfremden Athener Angelos Sifakis und die in allen Lagen streitbare Französin Corine Bouhaddi. Ebenfalls anwesend waren Fabio Tebaldi, der mit Morddrohungen konfrontierte junge Mafiajäger aus San Luca an der Zehenspitze des italienischen Stiefels, und der Altmeister der Gruppe, der etwas sonderbare Schwede Arto Söderstedt. Wenn er nicht doch Finne war, Jutta Beyer wusste es nicht genau.
    Außerdem waren momentan einige der nationalen Mitarbeiter in Den Haag. Sie erkannte keinen von ihnen wieder, die Gruppe blieb für sie diffus und konturlos.
    Dazu trug auch diese Sprache bei. Sie alle waren gezwungen, sich mit »the EUnglish language« abzumühen, dieser merkwürdig klanglosen Kunstsprache, die innerhalb der EU verwendet wurde. Obwohl alle einen Grundkurs absolviert hatten, waren die Gespräche noch immer mühselig.
    Jutta Beyers Stimmung hatte beinahe ihren Siedepunkt erreicht, als sie ihren gewohnten Platz im Versammlungsraum einnahm. Irgendetwas im Zimmer war verändert worden, aber Jutta hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn in diesem Moment setzte sich Kowalewski etwas zu dicht neben sie. Und lächelte sie an. Noch breiter als sonst. Wahrscheinlich wollte er mit ihr übers Wochenende plaudern. Sie nahm sich unnötig viel Zeit, um ihre Unterlagen auszupacken, und hoffte inständig darauf, dass der Chef endlich hereinkommen würde.
    Aber dem war nicht so. Die Zeit verging. Es war schon nach acht Uhr, und die Möglichkeiten, Papierstapel, Stifte und Notizbuch auf dem Tisch anzuordnen, waren irgendwann erschöpft. Nun würde sie doch mit Marek sprechen müssen. Sie wusste, dass sie manchmal sehr
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