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Gier

Gier

Titel: Gier
Autoren: Arne Dahl
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vorsichtig einen Blick aus dem Fenster. Niemand, keine Nachbarn, die in ihre Richtung schauten. Vorsichtig zog sie die Jalousien herunter und vergewisserte sich, dass sie das Fenster bis über den Rahmen hinaus abdeckten. Nun konnte kein Lichtstrahl nach draußen dringen.
    Sie stellte das Tablett auf einen leeren Nachttisch, ging zum Fernseher, nahm die Fernbedienung in die Hand und begann zu zappen. Doch sie verlor schnell die Lust. Lieber wollte sie einen richtigen Film sehen.
    Sie fand die DVD unmittelbar. Ang Lee. Wunderbar. Der Regisseur, der ihre Gedanken lesen konnte. Wo Traum und Wirklichkeit ein und dasselbe waren. Wo hu cang long . Oder: Crouching Tiger, Hidden Dragon .
    Die folgenden zwei Stunden vergingen wie im Flug. Als der Abspann des Films lief, stellte sie fest, dass das Tablett leer war. Außerdem musste sie auf die Toilette.
    Die Uhr auf dem DVD-Player zeigte kurz nach halb zehn an. Vielleicht sollte sie sich noch etwas zu essen holen? Und möglicherweise einen weiteren Ang-Lee-Film ansehen. In der DVD-Sammlung gab es mehrere.
    Sie griff sich das Tablett und ging vorsichtig die Treppe hinunter. Inzwischen war es im Haus stockdunkel. Aber sie tastete sich langsam und bedächtig voran. Als sie am Arbeitszimmer des Mannes vorbeikam, registrierte sie darin einen Lichtschein. Vor Schreck ließ sie das Tablett fallen. Scheppernd krachte es auf den Boden. Der Nachhall schien unendlich. Ihr Herz pochte heftig.
    Ist der Sohn etwa nach Hause gekommen? Sitzt er dort drinnen und surft heimlich auf dem Computer seines Vaters?
    Sie schlich bis zur Tür. Ihr Herz schlug wie verrückt in ihrer Brust. Dann warf sie einen Blick in den Raum. Jetzt hatte sie nichts mehr zu verlieren.
    Doch da war niemand.
    Sie wagte sich weiter in das Arbeitszimmer hinein. Schließlich konnte sie den gesamten Raum einsehen.
    Kein Mensch weit und breit. Aber der Computer war eingeschaltet. Kreisförmige Gebilde huschten in eigentümlichen Mustern über den Bildschirm. Sie ging auf den Schreibtisch zu, griff nach der Maus und bewegte sie leicht.
    Da erschien ein völlig anderes Bild auf dem Bildschirm. Eine Internetstartseite. Eigentlich nichts Besonderes, aber es war merkwürdig, dass der Mann vergessen hatte, den Computer auszuschalten, bevor er nach Paris gefahren war.
    Sie setzte sich und begann langsam, den Inhalt des Computers zu erforschen. Sie wollte herausfinden, was er für Geheimnisse barg. Sie öffnete das E-Mail-Programm. Sollte sie wirklich einen Blick hineinwerfen?
    Sie hatte bereits so viele Tabus gebrochen, dass es nun anscheinend keinerlei Grenzen mehr gab. Aber zunächst ging sie die Liste der zuletzt aufgerufenen Seiten durch, und dann begab sie sich selbst auf die Suche im Internet.
    Nach einer Weile tippte sie einen langen, schwer zu buchstabierenden schwedischen Begriff ein, woraufhin es ungewöhnlich lange dauerte, bis die Trefferliste erschien. Danach gab sie dasselbe Wort in die Suchfunktion des Computers ein. Keine unmittelbaren Treffer.
    Mit rasendem Puls begann sie, die E-Mails durchzusehen. Es kam ihr vor, als werfe sie einen verbotenen Blick in das Herz eines fremden Menschen.
    Die Zeit verging. Viel Zeit.
    Sie las eine ganze Menge. Und sah noch mehr.
    Sie sah Dinge, die sie nicht sehen wollte.
    Als sie plötzlich ein Geräusch hinter sich hörte, drehte sie sich erschrocken um. Mit offenem Mund blickte sie in zwei beachtliche Pistolenläufe. Zwei Männer standen mit gezogenen Waffen im Arbeitszimmer.
    All ihre Albträume wurden mit einem Schlag Realität. Sie starrte auf die Schusswaffen und begriff, dass ihr Leben zu Ende war. Es war eine glasklare, vollkommen rationale Erkenntnis.
    In dem Moment kam ein dritter Mann ins Zimmer. Er ging auf sie zu und nahm behutsam, aber bestimmt ihre Hände von der Tastatur. Als sie zu ihm aufschaute, sah sie, wie unglaublich groß er war.
    Der Mann räusperte sich und hielt ihr seinen Polizeiausweis hin. »Mein Name ist Kriminalkommissar Jon Anderson von der Abteilung Internetkriminalität der Reichskriminalpolizei«, sagte er mit fester Stimme. »Kann es sein, dass Sie im Internet nach Kinderpornografie gesucht haben?«

Klare Worte
Den Haag, 6. April
    Jutta Beyer aus Berlin war sich immer noch nicht ganz sicher, was sie eigentlich in Den Haag sollte. Sie war sich aber auch nicht sicher, ob irgendeiner ihrer Kollegen es wusste.
    Sie selbst bevorzugte klare Strukturen, wie sie in der Abteilung 4
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