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Gier

Gier

Titel: Gier
Autoren: Arne Dahl
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Station, das silberne gegen finanzielle Verbrechen protestierend von der London Bridge her und das schwarze Pferd gegen geschlossene EU-Grenzen von der Cannon Street kommend –, konnte der Beobachter nicht umhin, an das geschlachtete Lamm aus dem Buch der Offenbarung zu denken, das ein Siegel nach dem anderen auf der heiligen Buchrolle bricht. Die ersten vier Siegel schicken die vier Reiter der Apokalypse los. Das fünfte offenbart die umherirrenden Seelen der Menschen, die für die Wahrheit ihr Leben ließen. Das sechste löst ein gewaltiges Erdbeben aus, »und die Sonne wurde schwarz wie ein Trauergewand, und der ganze Mond wurde wie Blut«. Und als sowohl das Lamm als auch der Beobachter das siebente Siegel erreichten, durch dessen Bruch die Apokalypse in ihre Schlussphase eintritt, waren alle vier Demonstrationszüge vor der Bank of England versammelt.
    Aus diesem Grund waren sie schließlich hier. Denn die Finanzmärkte schienen gerade das siebte Siegel aufgebrochen zu haben. Aus purer Profitgier.
    Der Beobachter ist ein verhältnismäßig erfahrener Polizist. Er meint, seine Pappenheimer zu kennen, zu wissen, wie sie denken und handeln. Und er ist der Meinung, dass die Entwicklung, die in den vergangenen Jahren vonstattengegangen ist, bei der die Finanzblase endlos aufgebläht wurde und schließlich explodierte, in auffällig hohem Maß an das Vorgehen eines Verbrechers erinnert. Gewinnmaximierung ohne jegliche Gedanken an die Konsequenzen. Aber wer ist eigentlich der Verbrecher? Und worin genau besteht dieses große und eigentümliche Verbrechen, in dessen Mitte wir unser Leben weiterleben?
    Die vier Züge waren zu einem einzigen geworden und skandierten: »Build a bonfire, put the bankers on top.« Sie forderten die verschreckten Banker, die durch die Fenster der Zentralbank des Vereinigten Königreichs hinausschauten, lautstark auf, zu springen. Eine Stunde später waren die Demonstranten eingekesselt. Es dauerte sieben Stunden, dem Kessel wieder zu entschlüpfen. Der Beobachter benötigte immerhin fast eine Viertelstunde, um einem vor Adrenalin strotzenden Polizisten das Wort »Europol« begreiflich zu machen, bevor der ihn aus dem engen Kessel entweichen ließ. Danach pfiff er auf London, machte sich auf den Rückweg in sein mikroskopisch kleines Hotelzimmer und surfte weiter im Internet.
    Während des »Financial Fool’s Day« fand eine Reihe weiterer Demonstrationen statt. Dreitausend Menschen waren unterwegs zum »Clima Camp in the City« in der Bishopsgate, und Hunderte Mitglieder der »Stop the War Coalition« marschierten von der amerikanischen Botschaft zum Trafalgar Square, wo sie sich mit anderen Demonstrationszügen vereinten. Insgesamt wurden viele Tausend Aktivisten eingekesselt.
    Gegen Abend, als sein Magen ernsthaft zu knurren begann, kam dann auch die Meldung, dass ein Mann gestorben sei, ein unschuldiger Fußgänger wurde von der Polizei so stark misshandelt, dass er kurz darauf starb.
    Je mehr er von dem Ganzen sah, desto erleichterter war er, lediglich Beobachter zu sein. Und in dem Moment, als ihn die Proteste seines Magens regelrecht dazu zwangen, sein Hotelzimmer zu verlassen, entdeckte er das Gerücht. In einer Twitter-Meldung, die wohl der Organisation »Stop the War Coalition« zuzuschreiben war, wurde jedenfalls behauptet, dass es sich um ein Gerücht handelte. Der Verfasser meinte, den Ort lokalisieren zu können, an dem ein gewisser »BO« aus seiner Limousine steigen und sich den Leuten stellen würde. Es wurde behauptet, die Information käme aus dem innersten Kreis.
    Der Beobachter suchte fieberhaft weiter, um eine Bestätigung des Gerüchts zu erhalten oder es zumindest auf einer anderen Seite noch einmal zu entdecken. Doch es gelang ihm nicht. Es war nur ein einziges Mal herausgetwittert worden.
    Dennoch steht er heute an der besagten Stelle, nicht weit von der Umzäunung entfernt, die den gesamten hässlichen Betonklotz an der Themse umgibt. Zahllose Demonstranten sind vor Ort, umringen ihn von allen Seiten. Er steht an der Straße, die, mit soliden Absperrungen gesichert, direkt zum ExCeL führt, dem Exhibition Centre. Mehrere Limousinen mit den Staatsoberhäuptern der zwanzig reichsten Nationen der Welt sind bereits vorbeigefahren. Obendrein werden handverlesene Gäste erwartet.
    Sein Blick schweift zwischen der Straße und der
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