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Gier

Gier

Titel: Gier
Autoren: Arne Dahl
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etwas anderes tun.
    Die Eheleute waren weit weg, mit ihnen müsste sie nicht rechnen. Der Sohn allerdings war ein Unsicherheitsfaktor. Aber danach zu urteilen, wie sein Zimmer allwöchentlich aussah – es sauber zu machen nahm jedes Mal mehr als die Hälfte der Zeit in Anspruch –, würde er wohl kaum vor morgen früh um halb sieben hereingestürzt kommen. Es bestand höchstens das Risiko, dass er heute Abend zu Hause auftauchen würde, weil er irgendwelche Utensilien für die Übernachtung bei seinem Freund vergessen hatte, oder dass er eine Party plante, weil er sturmfrei hatte. Aber die würde er sicher auf den morgigen Freitag legen. Und dann wäre sie längst weg.
    Nein, das wahre Risiko waren die Nachbarn. Sie könnten sie morgen früh sehen und die Polizei rufen. Aber sie kannte die Nachbarn, jedenfalls einige, da sie auch bei ihnen putzte. Außerdem besaß sie die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen.
    Sie blieb neben der beängstigend blinkenden Alarmanlage stehen und versuchte, so rational zu denken, wie sie es lange nicht mehr getan hatte. Es stand schließlich viel auf dem Spiel. Sie war nicht legal in diesem Land.
    Allmählich nahm der Entschluss, im Haus zu bleiben, Form an. Sie würde ganz einfach über Nacht bleiben. Keiner würde etwas davon erfahren. Sie würde ihren Job retten. Außerdem war es nicht gerade so, dass zu Hause irgendjemand auf sie wartete. Und nach ihrem Zuhause sehnte sie sich nun wirklich nicht. Denn es war kein richtiges Heim. Eine heruntergekommene Einzimmerwohnung mit Küchenecke im fünften Stock in Vällingby, die sie sich mit drei anderen illegalen Putzfrauen teilte, die nicht unbedingt das Verlangen verspürten, ihre eigene Bude zu putzen, wenn sie nach einem vierzehnstündigen Arbeitstag nach Hause kamen.
    Ja, dachte sie, warum sollte sie nicht für eine Nacht bleiben und ein wenig Luxus genießen? Aus der Not eine Tugend machen? Natürlich durfte sie kein Licht machen. Oder sie musste sich in den Räumen ohne Fenster aufhalten oder in den Räumen mit diesen lichtundurchlässigen Jalousien, die sie so ungern abstaubte.
    Die Villa war so groß, dass es in der Tat ein vollständig eingerichtetes Zimmer ohne Fenster im Erdgeschoss gab. Es war das Arbeitszimmer des Mannes und in der Regel leicht zu putzen. Der Hausherr hatte offenbar einen Sinn für Ordnung.
    Aber sie hatte nicht vor, ins Arbeitszimmer zu gehen. Nein, völlig unerwartet begann sie mutig zu werden. Sie wollte ins Schlafzimmer der Eheleute hinaufgehen, jenes Zimmer mit den am dichtesten abschließenden Jalousien, dem großen Flachbildschirmfernseher an der Wand und den vielen DVDs. Außerdem wollte sie etwas essen. Sie wusste, was sich im Kühlschrank und in den Küchenschränken befand. Die zahlreichen Köstlichkeiten würden wahrscheinlich schlecht werden, wenn sich ihrer keiner erbarmte.
    Sie schlich in die Küche. Es war immer noch hell genug, um auch ohne Beleuchtung etwas sehen zu können, und das Licht im Kühlschrank brauchte sie wohl nicht zu fürchten. Außerdem konnte sie ja den kleinen Knopf herunterdrücken, damit das Licht nicht anging.
    Sie kannte den Kühlschrank in- und auswendig, denn eine ihrer wichtigsten Aufgaben bestand darin, ihn zu putzen. Ihre Arbeitgeberin hatte nämlich keine besonders ausgeprägten hausfraulichen Qualitäten. Nach außen wollte sie einen perfekten Eindruck machen, aber einer versierten Putzfrau reichte ein kurzer Blick hinter die Fassade aus, um ein ganz anderes Bild zu erhalten. Die Frau des Hauses war eine richtige Schlampe.
    Jeden Donnerstag musste sie den Kühlschrank vollständig ausräumen und säubern, und am darauffolgenden Donnerstag sah er dennoch wieder so aus, als hätte dort ein Meteorit eingeschlagen.
    Dennoch gab es dort auch eine Reihe hochwertiger Lebensmittel, die bereits fertig zubereitet waren. Sie hatte sich zwar nie ganz an die fremdartige schwedische Kost gewöhnt, warum auch immer, aber es gab genügend anderes. Schmackhafte Käsesorten, leckeres Brot, sogar einige ausgesuchte asiatische Delikatessen – und Wein. Aber ganz so weit wollte sie es dann doch nicht treiben. Keinen Wein.
    Sie deckte ein kleines Tablett mit verschiedenen Leckereien und nutzte die letzten Spuren des Tageslichts an diesem Aprilabend, um die Treppe hinaufzusteigen. Als sie das Schlafzimmer betreten hatte, warf sie
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