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Gezeiten des Krieges

Gezeiten des Krieges

Titel: Gezeiten des Krieges
Autoren: Loren Coleman
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wie in einem dunklen See spiegelte. Schwerer Weihrauch schwängerte die Luft. Er schmeckte Sandelholz. Und Jasmin. Die Gefangenenkluft rieb ihm über die Haut, doch der grobe Stoff war wenigstens frisch gewaschen und gebügelt, mit militärischen Bügelkanten.
    Vor dem Kanzler der Konföderation, der Seele des Volkes und der Inkarnation Gottes auf Sian erschien man nur im bestmöglichen Zustand.
    Seine Maskirovka-Begleiter blieben unschlüssig am Eingang stehen. Sie hatten keine Erlaubnis zum Eintreten erhalten, wollten ihren Schützling jedoch nicht allein lassen. Nach einem halben Dutzend schlurfender Schritte in den Saal hinein blieb auch Mai Wa stehen. Schließlich verbeugten sich die Agenten und zogen sich zurück. Die schweren Bronzeportale fielen hinter ihm ins Schloss.
    Er wartete.
    »Komm näher, Mai Uhn Wa.« Der Befehl war leise, kaum hörbar, dadurch aber nicht weniger zwingend.
    Mai hob den Kopf und ließ die karge Schönheit von Daoshen Liaos Thronsaal auf sich wirken. Die Wände waren mit rot gemasertem Bambus getäfelt, das einen Flammenring rund um den gesamten Raum suggerierte. Entlang der linken Wand zog sich ein geschnitzter Fries, der antike Krieger auf einem ewigen Marsch darstellte. Die rechte Wand zierten nur ein paar einfache Holzkohlezeichnungen, sofern man den Gerüchten glauben konnte, stammten sie von der Hand des Erhöhten Sun-Tzu Liao, Daoshens Vater.
    Ein roter, mit Goldfäden durchsetzter Läufer erstreckte sich von den Bronzeportalen bis zum Fuß der Empore. Gold: Im alten terranischen China dem Kaiser vorbehalten. Mai hielt Abstand und näherte sich der Empore des Himmels mit der gebotenen Bescheidenheit rechts neben dem Teppich.
    Sein Leben hing unter Umständen an einem solchen Faden.
    An der Ecke der Empore stand eine antike terra-nisch-chinesische Rüstung aus der Zeit der Nän-Bei-Chäo-Dynastien. Ein prachtvolles Stück greifbarer Geschichte - und damit glich sie dem Thron des Himmels selbst, der sich im Zentrum der Empore erhob. Der chinesische Tierkreis formte den Oberteil der Rückenlehne, eine Erinnerung an die vielfältige Natur der Menschen. Und die Beine endeten in Drachenpranken. Das rotbraune Holz des Möbels, das aus einem einzigen Stück Mahagoni geschnitzt war, kündete von Kraft ebenso wie von Charakter.
    Und auf diesem Thron saß, halb im Schatten, Daoshen Liao.
    Zum dritten Mal in seinem Leben sah Mai Wa den Kanzler der Konföderation Capella. Obwohl er sich eine Ewigkeit auf dieses Gespräch vorbereitet hatte, überraschte es Mai, dass sein Blick den Kanzler nur fand, wenn Daoshen gesehen werden wollte.
    Sians lebendiger Gott saß zurückgelehnt auf dem Thron, die Arme auf den massiven Seitenteilen. Eingerollt. Bereit zuzuschlagen. Der Schädel des Kanzlers war rasiert. Sein Schnurrbart war lang und glänzend schwarz, an beiden Enden geflochten und in Schulterhöhe von einer winzigen Goldperle beschwert. Er trug eine grüne Nehrujacke, an deren Schultern ein ebenfalls grüner Umhang befestigt war, und eine grüne Seidenhose, entlang des Außensaums mit roten und goldenen Schlangen verziert. Mit einer Körpergröße von fast zwei Metern und trotz einer Statur, die überhaupt nicht hager schien, wirkte der Herrscher der Capellaner alles andere als zerbrechlich. Er ... strahlte.
    Ob seine Ausstrahlung wirklich das äußere Anzeichen göttlicher Inspiration war oder nur das Ergebnis unbedingter Gewissheit der eigenen Macht, das wusste nur Er selbst.
    Mai Wa sank auf die Knie, dann streckte er sich auf dem Boden der Himmelskammer lang aus und erniedrigte sich vor seinem Kanzler. »Ich diene der Konföderation.«
    »Erhebe dich, Mai Uhn Wa. Bring die Füße unter deinen Leib und stehe wieder aufrecht wie ein Mensch.«
    Mais feuchtes, doch sauberes Haar fiel ihm ins Gesicht, als er langsam wieder aufstand. Er schob es zurück über die Schultern und entwirrte widerspenstige Strähnen aus dem dünnen Bart, der ihm im Kerker gewachsen war.
    Daoshen Liao beugte sich etwas vor und musterte Mai Wa genau. Seine grünen Augen loderten in einem inneren Feuer. Mai konnte nicht ermessen, wonach die Große Seele suchte, und so hielt er der Begutachtung mit aller militärischen Haltung stand, derer er fähig war. Daoshen lächelte, dünn und humorlos. »Es ist die Art des Hirnmels, zu erobern ohne Mühe, Antworten zu erhalten, ohne zu sprechen.«
    »Die Menschen zu sich kommen zu lassen, ohne sie zu rufen«, zitierte Mai automatisch. Dann erkannte er, dass er soeben den Kanzler
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