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Gestohlene Wahrheit

Gestohlene Wahrheit

Titel: Gestohlene Wahrheit
Autoren: Julie Ann Walker
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behauptet, das neue Getriebe, das du in den Hummer eingebaut hast, wäre weich wie Butter, aber ich würde damit gern eine Testfahrt machen, bevor Steady das Ding in die Finger bekommt und wieder alles kaputt macht.«
    Becky konnte nicht anders. Ihr Blick wanderte automatisch zu der Stelle auf dem Asphalt, an der Patti ihr Leben ausgehaucht hatte. Ihr Blut war längst weggeschrubbt worden, aber sie würde immer genau wissen, wo sie gelegen hatte.
    Sie konnte gar nicht schnell genug von hier wegkommen.
    »Nein, ich nehme die Blue Line«, entgegnete sie und bezog sich damit auf die berühmte Chicagoer Zugstrecke. Sie holte tief Luft und nahm die vertraute Mischung aus Autoabgasen und dem feuchten, fischigen Duft des Chicago River in sich auf. Der Wind kam aus Richtung der Blommer-Schokoladenfabrik, sodass alles von Kakaoduft überlagert war.
    Sie war hier in der Nähe aufgewachsen. Das war der Geruch von Zuhause.
    Aber im Moment spendete er ihr keinen Trost. Sie sehnte sich nach dem süßen Duft von Sonnenmilch und dem würzigen Aroma von Kokosnusscurry. Alles, was sie von Frank Knight, ihren zerbrochen Träumen und der Verzweiflung, die wie eine Krankheit über diesem Ort hing, ablenkte, war ihr recht.
    »Wir sehen uns in einem Monat«, versicherte sie ihm und nahm ihm den Koffer ab. Sie zuckte fast unmerklich zusammen, als sich ihre Finger berührten.
    »Ein Monat«, murmelte er und sah sie ernst und prüfend an.
    Sie wandte sich schnell ab, da sie das besorgte Glitzern in seinen Augen nicht ertragen konnte.
    Ohne sich noch einmal umzusehen, hastete sie die Cherry Street hinunter. Erst als sie in die North Avenue einbog, atmete sie erleichtert auf.
    Sie hatte einen Monat, um sich zusammenzureißen, um zu versuchen, die alten Träume durch neue zu ersetzen.
    Aber … Bevor sie den großen, blauen Ozean überquerte, musste sie noch an der Ostküste haltmachen.
    Es klopfte an ihrer Tür.
    »Verdammt!«, kreischte Ali und ließ den frisch gebackenen Keks, den sie sich gerade in den Mund stecken wollte, fallen. Da gab sich jemand die größte Mühe, ihre Tür aus den Angeln zu heben.
    »Alisa Morgan!«, rief eine vertraute Stimme durch das dicke Holz. »Mach sofort auf! Ich weiß, dass du da bist!«
    Sie stolperte über ihren neuen Teppich und stieß sich den kleinen Zeh am Sofa –
au, au, au!
–, weil sie so schnell zur Tür hastete.
    »Was in drei Teufels Namen machst du denn hier, Becky?«, wollte sie wissen und hüpfte auf einem Bein, während sie ihren schmerzenden kleinen Zeh mit einer Hand festhielt.
    »Ich bin hier, um dir Verstand in deinen starrsinnigen, irrationalen, gottverdammt irrigen Schädel einzutrichtern«, zischte Becky und drängte sich in Alis Wohnung, während sie einen kleinen Rollkoffer hinter sich herzog.
    Großer Gott, wollte die Frau etwa bei ihr einziehen?
    »Das waren aber ziemlich viele Adjektive«, erklärte sie und beäugte den Koffer verwirrt und verständnislos. Ihren schmerzenden Zeh hatte sie längst vergessen.
    »Jetzt komm mir nicht auf die Lehrerinnentour, und hör auf, meinen Koffer anzustarren, als würden ihm gleich Zähne wachsen, damit er dich beißen kann. Ich bleibe nicht hier. Du bist nur ein kleiner Zwischenstopp auf einer Reise, die mein Leben verändern wird.«
    »Wo willst du …«
    Becky wedelte ungeduldig mit der Hand durch die Luft. »Das ist unwichtig. Wichtig ist, dass du richtig Mist gebaut hast, und wenn du nicht schnellstmöglich deinen Hintern nach Chicago bewegst und die Sache wieder in Ordnung bringst, werde ich dich windelweich prügeln. Das ist mein voller Ernst.«
    »Ich verstehe …«
    »Das ist mir klar«, unterbrach Becky sie. Dann stellte sie ihren Koffer ab und dehnte tatsächlich die Finger und ließ die Knöchel knacken, als wäre sie ein Boxer, der gleich in den Ring steigen wollte. Dann rollte sie ihren hübschen blonden Kopf nach links und rechts, um die Halsmuskeln zu lockern. »Du hast Ghosts unerschütterliche Hingabe gar nicht
verdient
. Du weißt ja nicht, was für unvorstellbare Schuldgefühle er hat, weil er seinem besten Freund das Leben nehmen musste, ja,
musste
. Du hast nicht das Recht, ihm für Griggs Tod die Schuld zu geben, denn das, was er getan hat, war ein verdammt mutiger Akt der Gnade! Du …«
    »Du hast recht«, gestand Ali leise und verzog das Gesicht, als sich der Schmerz, den sie seit sechs Wochen in ihrer Brust spürte, dermaßen ausbreitete, dass sie kaum atmen konnte.
    Nate. Der wundervolle, loyale, tapfere
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