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Geschichten aus der Müllerstraße

Geschichten aus der Müllerstraße

Titel: Geschichten aus der Müllerstraße
Autoren: be.bra Verlag , Hinark Husen , Robert Rescue , Frank Sorge , Volker Surmann , Heiko Werning
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verblüfft, dann strahlte er ihn an: »Sie erkennen mich? Hier, nachts auf der Mittelpromenade, mitten im Wedding!«
    Er konnte es nicht glauben, und ich ehrlich gesagt auch nicht. »Das muss ein Zeichen sein!«, jubelte der Dichter, und plötzlich stand auch noch der Kollege Nils Heinrich neben uns. Wo kommt der denn jetzt her?, dachte es schwach in mir, aber der wohnte damals noch um die Ecke. Jedenfalls kannte Nils den Dichter natürlich auch, und der Dichter war so überwältigt von seiner unerwarteten Prominenz, hier im Wedding, um inzwischen halb drei Uhr morgens, dass er eine Runde Currywürste für uns alle bestellte, und Jägermeister und noch ein Bier, und da ungefähr setzt dankenswerterweise meine Erinnerung aus. So weiß ich nur aus den Erzählungen von Nils, dass ich im Lauf der Nacht noch für alle eine begeisterte Führung durch die City-Toilette geboten und von ihren Vorzügen geschwärmt habe, und dass der Dichter noch unter Androhung von Schlägen nach einer fünften Currywurst verlangte. Aber die Fritteusin hatte ein Einsehen, alles Trommeln an der Scheibe nutzte nichts, unerbittlich um drei Uhr stellte sie die Fritteuse ab, und irgendwie müssen wir wohl alle nach Hause gekommen sein.
    Am nächsten Tag mochte ich nichts essen. Bis zum Abend. Und am
Imbiss zur Mittelpromenade
war ich seither nicht wieder. Nach Einbruch der Dunkelheit bleibe ich lieber auf der anderen Straßenseite. Sicher ist sicher.

Obere Müllerstraße

Frank Sorge
Huhn ist ihr Gemüse
    Irgendwas läuft hier falsch. Ich bin es nicht, ich laufe nur auf dem Weg zur Bank am neuen Dönerladen vorbei und lese den Namen:
Gemüse Kebab
. Beim Zurücklaufen sehe ich die Eröffnungsangebote und lasse mich anlocken.
    Vielleicht wirklich eine gute Alternative, überlege ich, Döner mal ohne Fleisch und schön mit Schafskäse, wie auf dem Foto. Und sind nicht vorhin in den Nachrichten beunruhigende Meldungen über resistente Keime im Hühnerfleisch gelaufen? Auch wenn ich Chicken Döner seit jeher verschmähe und mir eine solche Nachricht nicht gleich Angst einjagt, kann man das ja mal als Anlass nehmen. Sehr gespannt bestelle ich einen Gemüse Kebab.
    »Soße?«
    »Scharf.«
    Das Erste, was in meinen Gemüsedöner geworfen wird, ist Hühnerfleisch.
    »Aha«, sage ich, »der ist also doch mit Fleisch?«
    »Na, ham Sie Döner bestellt, oder nicht?«
    Der Ton ist leicht genervt, vielleicht haben sie schon öfter in einem Geschäft namens
Gemüse Kebab
bei der Bestellung von Gemüse Kebab eine ähnliche Anmerkung wie meine gehört.
    »Ich habe einen Gemüse Kebab bestellt«, sage ich.
    »Na, also.«
    »Aber da rechnet man einfach nicht damit, dass man Fleisch bekommt.«
    »Aber ist Döner, oder? Haben Sie Döner bestellt.«
    Ich sehe hier nur einen Chicken Döner, den ich sonst nicht als Döner zähle. Immerhin ist wenig Fleisch darin und tatsächlich vielfältiges Gemüse und der versprochene Schafskäse.
    »Ist jetzt nicht so schlimm«, sage ich, Diskussionen sind hier offenbar unerwünscht.
    Ich setze mich an einen Tisch und schlage die Titelseite der
B.Z
. um: ein riesiges Keim-Hühnchen ist dort abgebildet. Die nächsten Gäste betreten den Laden und bestellen: »Gemüse Kebab – aber ohne Fleisch.« Sie sind gut vorbereitet.
    Alle paar Monate wird der Laden hier umbenannt und umgestrichen. Es sind nicht immer dieselben Verkäufer, aber sie werden seltener ausgetauscht als die Ladenkonzepte. Chicken Döner als Gemüse Kebab zu verkaufen ist aber wirklich eine großartige Idee, das wird in fünfzig und auch in hundert Jahren noch bestehen. Ganz sicher.
    An sich schmeckt das Gemüse mit den Flügeln ganz gut, wenn man die ganze Zeit auf das riesige, nackte Ekelhähnchen der
B.Z
. guckt, kommt man aber mindestens beim Kauen auch ins Grübeln. Also weiterblättern, vielleicht schafft es das nackte Huhn Patricia (24) auf der dritten Seite, mich abzulenken. Aber es fehlt, oder ich kann es nicht finden. Nur immer weitere, rot umrahmte Kästchen über Bakterien.
    Ob sich das Problem auf Hähnchen beschränke, wird ein Experte gefragt. Und der antwortet, das sehe gerade nur so aus, weil bislang nur die Hähnchenbetriebe in dieser Weise untersucht worden seien.
    Etwas zu trinken bestelle ich nicht. Wer weiß, was ich bekomme, wenn ich Wasser bestelle.
    »Hier bitte.«
    »Aber das ist Cola.«
    »Haben Sie Getränk bestellt, oder? Also.«
    »Aber ich hab Wasser bestellt.«
    »Ey, was glaubs du, was das ist, Mann? Guckst du hier, Inhaltsstoffe, ja,
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