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Geschichten aus der Müllerstraße

Geschichten aus der Müllerstraße

Titel: Geschichten aus der Müllerstraße
Autoren: be.bra Verlag , Hinark Husen , Robert Rescue , Frank Sorge , Volker Surmann , Heiko Werning
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beigefügte Foto von Steine werfenden Vermummten lässt die Intention auch den ungeübten Betrachter leicht verstehen.
    »Walpurgisnacht«, kommt Ahmed noch einmal zu uns zurück, »ist das nicht das vorm 1. Mai, wo die immer alles kaputt machen?«
    »Genau, so will es das Brauchtum«, erklären wir und zeigen ihm den gelben Flyer.
    Ahmed schaut verständnislos: »Aber hier ist doch schon alles kaputt. Warum bleiben die nicht im Prenzlauer Berg?« Wir wissen es nicht.
    »Vielleicht ist die Party insgesamt nicht mehr so angesagt wie früher und sie hoffen auf Verstärkung durch die Weddinger Jugendgangs?«, spekuliere ich.
    »Aber woher wollen die denn wissen, dass die da mitmachen?«, erwidert Ahmed. »Das sind doch alles Türken und Araber! Die lassen sich doch nicht von aus Westdeutschland zugezogenen Friedrichshainern vorschreiben, wann sie hier zu randalieren haben! Außerdem spielt an dem Abend Galatasaray gegen Besiktas in der Süper Lig, da sitzen doch sowieso alle hier vorm Fernseher.«
    Ich denke, wir bleiben gelassen. Der Weddinger Bevölkerung wird der merkwürdige Aufzug in der Nacht zum 1. Mai so egal sein wie alles andere auch. Und auf ein paar Verrückte mehr kommt es hier letztlich auch nicht an, viel Schaden können sie ohnehin nicht anrichten.
    Das Einzige, was mich tatsächlich besorgt: Geboren wurde die antikapitalistische Walpurgisnacht in Prenzlauer Berg, danach marodierte sie durch Friedrichshain. Ergebnis: Beide Bezirke sind inzwischen total gentrifiziert. Sind es gar nicht, wie immer behauptet wird, die Künstler, die Hipster, die Studenten, die die Speerspitze der Gentrifizierung bilden? Sind es am Ende die revolutionären Antikapitalisten, die den Boden erst bereiten, die eine Gegend erst aufregend und interessant machen, sodass sich anschließend eben mit dem üblichen Zeitverzug der Rattenschwanz an Nachfolgern dorthin begibt? Ist nicht so eine antikapitalistische Walpurgisnacht bereits vollendete Gentrifizierung im Kleinformat: Eine Bande neunmalkluger Zugereister fällt über einen Kiez her, weiß alles besser, macht den dicken Maxe und sorgt dafür, zumindest hier im Wedding, dass sich garantiert kein einziger Einheimischer in der Nähe blicken lässt? Aber dass dafür die ganze Gegend groß in die Medien kommt? Und andere erst richtig auf sie aufmerksam werden?
    Aber der Wedding ist stärker. Mein Blick fällt durch die Scheibe des
Saray
auf die große neue Leuchtreklame vom
Imbiss zur Mittelpromenade
direkt gegenüber. Mehrfach schon habe ich darüber nachgedacht, was die wohl bedeuten mag. Ob sich da schon einer auf die neuen autonomen Besucher eingestellt hat? Auf knallig gelbem Grund leuchtet ein großer Schriftzug über die Müllerstraße: »You kill it, we grill it«. Dann mal einen schönen Tanz in den Mai, liebe revolutionäre Antikapitalisten.

Volker Surmann
Die sieben Hürden der Müllerstraße (1–3)
    Kraftfahrer Du, voll Wagemut
,
    Die Müllerstraße zollt Tribut
.
    Erst hinter den sieben Hürden
,
    nach den sieben Bürden
    der Wagenlenkerei
,
    fährst Du dann gen Tegel – frei
.
    Als Autofahrer muss ich gestehen: Die Müllerstraße ist meine drittunliebste Straße Berlins. Nach der Neuköllner Karl-Marx-Straße, einem Fahrweg, der sich aus einem Paralleluniversum in unser Hier und Jetzt verirrt hat und in welchem vermutlich ein paar physikalische Axiome hinsichtlich Raum und Masse, auf jeden Fall aber jegliche Verkehrsregeln außer Kraft sind. Und nach der Schönhauser Allee, an der man nie dann links abbiegen darf, wenn man gerade möchte – ein Phänomen, das man sonst nur aus der Stadt Köln kennt, die auch nur deshalb eine knappe Million Einwohner hat, weil die Menschen einfach nicht mehr herausgefunden haben. Ich versuche daher, die Müllerstraße stets weiträumig zu umfahren, doch nicht immer lässt sich das einrichten.
    Dabei bin ich gar kein notorischer Autofahrer. Doch in den Wedding fahre ich fast immer mit dem Pkw, da ich die leidige Erfahrung gemacht habe, dass man mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwar gut in den Wedding hineinkommt, aber umso schlechter wieder heraus. So betrachtet ist der Wedding das Köln Berlins.
    Es scheint, als hätten S-Bahn und BVG irgendwann beschlossen, den Wedding zu isolieren. Hin kommt man immer, zurück nimmer. Im öffentlichen Nahverkehr ist unter den Berliner Stadtteilen der Wedding die Venusfliegenfalle. Die Weisung dazu kommt sicher von ganz oben. Der Hohe Rat der Verkehrsplaner Berlins scheint nach dem Prinzip zu
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