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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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Aliza Barak-Ressler
    Weine ruhig
    Eine Geschichte vom Überleben
    Scanned by Jamee
    Für meine Eltern Zipora und Moshe Ressler. Ihr Einfallsreichtum und Mut haben uns befähigt, zahlreiche Gefahren zu bestehen und dem sicheren Tod zu entrinnen.
    Inhalt
    Prolog 9 Schule 11
    Der Mann in der Wand 20 Die Glocke 36
    Das Versteck auf dem Dachboden 50
    Weine ruhig, kleines Mädchen 61
    Die Operation 67
    Im Flüchtlingslager 80
    Rückkehr nach Hause 96
    Der letzte Transport 103
    Wie Hänsel und Gretel 111
    Abschied vom Leben im Wald 122
    Die Familie Tokoly 129
    Das Leben unter der Erde 135
    Der Verrat 150
    Im Gefängnis 159
    Heiligabend 170
    Lungenentzündung 180
    Die Russen kommen 188
    Von der Dunkelheit ans Licht 197
    Epilog 203 Danksagung 207
    Prolog
    »Großmama, erzähl mir noch mal die Geschichte von früher ; als du noch ganz klein warst, ungefähr so alt wie ich. Ich will, dass du von Anfang an erzählst und nichts auslässt. Das letzte Mal hast du alles Mögliche ausgelassen, und ich musste dich daran erinnern ... Großmama, vielleicht könntest du alles aufschreiben, und dann wirst du bestimmt nichts mehr vergessen!«
    So lautete die Bitte meiner elfjährigen Enkelin, die mich mit ihren großen blauen Augen erwartungsvoll anschaute. Wer hätte sie ihr abschlagen können?
    Während meiner vielen Jahre als Grundschullehrerin und Dozentin an der Pädagogischen Hochschule wurde ich zu jedem Schoah-Gedenktag eingeladen, um Schülern und Studenten meine Geschichte zu erzählen. Das waren regelmäßig sehr bewegende Begegnungen; das Mitgefühl war überwältigend, und die Leute kamen anschließend zu mir und baten mich, meine Geschichte aufzuschreiben. Sie sagten, die letzten Überlebenden hätten, solange sie dazu noch in der Lage seien, die Verpflichtung, ihre Geschichten niederzuschreiben. Ihre Argumente haben mich schließlich überzeugt.
    Ich hatte tatsächlich schon lange vor der Geburt meiner Enkel das Bedürfnis, die Geschichte aufzuschreiben, die meiner Familie und mir widerfahren ist. All das, was sich in mir aufgestaut hatte, schrie danach, herausgelassen zu werden. Ich spürte die Notwendigkeit, unsere Geschichte schriftlich festzuhalten, ehe es zu spät war, ehe das Alter das Regiment übernahm, die Erinnerung verblasste und der Wunsch meiner
    Enkelin sich nicht mehr erfüllen ließ. Aber wie jeder andere Mensch verlor ich mich in der Routine des Alltags. Die Zeit eilte dahin, und das nicht eingelöste Versprechen setzte meinem Gewissen nachhaltig zu. Doch ich wusste, die Zeit würde kommen, da all die Ereignisse, die Ängste und die Trauer der Vergangenheit aus den Tiefen meiner Erinnerung hervorkommen und ich das Schweigen durchbrechen würde.
    Alles hat seine Zeit. Vielleicht musste ich erst ein fortgeschrittenes Alter erreichen, in den Ruhestand gehen, mich vom Berufs- und Familienalltag befreien, damit die Dinge in mir reiften und ich mir die Zeit zum Schreiben nehmen konnte.
    Meine Erinnerung spielt mir jetzt schon manchmal Streiche; sie neigt dazu, hauptsächlich die ungewöhnlichen Ereignisse zu bewahren. Dennoch haben sich zahlreiche Dinge, die sich vor mehr als einem halben Jahrhundert zutrugen, tief in mein Gedächtnis eingegraben. Es bedarf lediglich bestimmter Bilder, Stimmen, Gerüche - Zweige, die sich im Wind bewegen, oder das Rascheln fallender Blätter im Herbst, der Geruch von frischem Heu, der Klang von Kirchenglocken und die Erinnerungen werden sofort wieder lebendig.
    Doch wo und wie soll ich anfangen?
    »Großmama, warum fängst du nicht mit der Zeit an, als du ein kleines Mädchen warst?«
    Die Beharrlichkeit meiner Enkelin gibt mir Kraft. Ich stürze mich in die Welt der Erinnerungen und beginne mit der Bergung meiner Geschichte.
    Schule
    Michalovce ist eine Kleinstadt im Osten der Slowakei. Etwa ein Drittel der 15 000 Einwohner waren in den dreißiger Jahren Juden. Im Zentrum der Stadt, gegenüber dem Rathaus, stand eine wunderschöne Synagoge. Die Heiligkeit des Schabbat war sogar auf der Hauptstraße zu spüren, denn die jüdischen Geschäfte schlossen bereits am Freitagnachmittag. Tatsächlich waren die meisten Anwohner der Hauptstraße Juden. Der Sekretär des Bürgermeisters und die Mehrheit der Ärzte, Ingenieure und übrigen Akademiker waren jüdisch.
    Die jüdische Gemeinde war fast ausschließlich orthodox oder traditionell ausgerichtet; nur eine kleine Minderheit war nicht religiös. Die meisten Juden lebten im selben Viertel, in Mietshäusern, die um lange Innenhöfe herum
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