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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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Ersatzteile. Lebensmittel und Gegenstände des täglichen Bedarfs waren knapp und rationiert. Der Schwarzmarkt blühte, und die Menschen hungerten. Viele Städte waren im Krieg schwer beschädigt worden, und die Infrastruktur war zerstört. Auf dem Land war die Versorgungslage ein wenig besser als in den Städten, denn die Bauern hielten Tiere und bauten Obst und Gemüse an. Aber Kleidung, Medikamente und die vielen Dinge des täglichen Bedarfs waren für niemanden leicht zu beschaffen.
    Wenn wir die Tokolys besuchten, brachten wir stets alles mit, was wir auftreiben konnten. Ich erinnere mich an einen Besuch, an dem wir Nähgarn mitbrachten, das damals sehr viel wert war und gegen andere Dinge eingetauscht werden konnte. Und als meine Eltern wieder in ihren früheren Berufen arbeiteten und auf diese Weise für unseren Lebensunterhalt sorgten, brachten wir ihnen auch jedes Mal etwas Geld. Wir blieben in engem Kontakt zueinander - bis wir 1947 nach Israel gingen - und teilten Kummer und Freude.«
    »Großmama, erzählst du mir jetzt, wie ihr nach Israel gekommen seid und wie die ersten Jahre hier waren?«, fragte Omer. »Versprich mir, Großmama, dass du mir den Rest der Geschichte auch noch erzählen wirst!«
    »Ich verspreche dir; wenn ich die Kraft finde, noch mehr zu erzählen und aufzuschreiben. Aber wie ich nach Israel gekommen bin und hier ein neues Leben angefangen habe, das ist eine neue Geschichte.«
    Epilog
    Nachdem wir 1947 in Palästina angekommen waren, das damals noch britisches Mandatsgebiet war, blieben wir zunächst mit der Familie Tokoly in Kontakt. Doch die Briefe wurden seltener, da sich unsere Integration äußerst schwierig gestaltete und kurz nach unserer Ankunft der Unabhängigkeitskrieg ausbrach. Mutter und Vater lebten ungefähr ein Jahr lang in einem Zeltlager. Das bisschen Geld, das sie mitgebracht hatten, war schnell aufgebraucht; sie konnten sich kaum über Wasser halten. Wir Mädchen kamen in Einrichtungen der Jugend -Alijah.
    1949, als der Eiserne Vorhang Osteuropa abtrennte, brach der Kontakt zu Anna und Vincent ab. Auf Umwegen erfuhren wir, dass Anna noch ein Kind, einen Sohn, bekommen hatte. Zwei Jahre später erfuhren wir zu unserem Entsetzen, dass Anna an Tuberkulose gestorben war - sie war erst dreißig Jahre alt. Wir haben jahrelang um sie getrauert, wie um ein Familienmitglied.
    Fünfzehn Jahre später erkrankte Mutter unheilbar und starb; Vater starb wenige Jahre nach ihr. Miriam, Rachel und ich studierten, heirateten, zogen Kinder groß, arbeiteten und gingen unseren täglichen Pflichten nach. Aber all die Jahre warteten wir sehnsüchtig auf den Tag, an dem wir unsere »Retter« wiedersehen würden. Wir wollten sie besuchen und auch nochmals das düstere Loch sehen, das sieben Monate lang unser »Zuhause« gewesen war.
    Nach der politischen Wende in Osteuropa nahmen wir die erste Gelegenheit war - wir drei Schwestern und unsere Ehemänner - und reisten in die Slowakei. Unser Weg führte uns
Unsere Familie kurz nach der Ankunft in Palästina - vordere Reihe (von links nach rechts): ich, Miriam, Rachel
    zuerst nach Jarok. Unsere Erdlöcher fanden wir nicht mehr. Die Dorfbewohner hatten sie zugeschüttet und auf dem ehemaligen Weizenfeld einen Weinberg angelegt, so wie in vergangenen Zeiten. Wir waren enttäuscht, dass wir unseren Männern unseren einstmaligen Zufluchtsort nicht mehr zeigen und ihn für unsere Enkelkinder fotografieren konnten.
    Wir trafen Ela, die Tochter von Vincent und Anna, die jetzt eine eigene Familie hatte. Sie erinnerte sich an unsere Namen und sagte, dass sie sich in all den Jahren große Sorgen um uns gemacht hätten, wegen der vielen Kriege in Israel. Auch sie habe sich danach gesehnt, uns wiederzusehen. Leider mussten wir erfahren, dass auch ihr Vater vor vielen Jahren gestorben war. Er hatte angefangen zu trinken, aus Kummer über Annas Verlust, und war an einer Alkoholvergiftung gestorben.
    Unser Besuch fand an einem Sonntag im Sommer statt. Wir gingen gemeinsam auf den Friedhof und besuchten das Grab der Tokolys.
1994 wurden Anna und Vincent Tokoly vonYadVashem als »Gerechte unter denVölkern« geehrt
    Als wir über die Dorfstraße zurückgingen, freuten wir uns, wenn uns einige ältere Dorfbewohner erkannten und Erinnerungen mit uns austauschten. Sie erwähnten dabei auch kleine Begebenheiten, von denen wir nicht gewusst hatten. Ein alter Mann etwa erzählte uns, dass er Moritz (wie Vater genannt wurde) immer durch Vincent Brot und Käse
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