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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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der Zeit des Tages, in der wir uns gern nach oben wagten, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Die Tage waren kurz, aber sie erschienen uns sehr lang, und immer wieder kam es zu kleinen Streitereien. Das Zusammenleben in einer so engen Behausung, ohne jede Privatsphäre, führte zwangsläufig zu Spannungen und Streit.
    Ronny und ich waren die Einzigen, die sich nicht langweilten. Wir fanden Gelegenheiten, uns gegenseitig zu entdecken, und verbrachten die langen Stunden damit, uns unserer Liebe zu versichern und gemeinsame Pläne für die Zukunft zu schmieden. In der Dämmerung, wenn wir an der Reihe waren, zur Quelle zu gehen und Wasser zu holen, waren wir glücklich, allein zu sein. Wie gingen Hand in Hand, und trotz der Kälte schoben wir die Rückkehr zum Loch so lange hinaus, wie wir konnten. Jeder Tag, der zu Ende ging, erfüllte uns mit neuer Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
    Als der März uns nicht die Befreiung brachte, nach der wir uns alle sehnten, begannen wir zu zweifeln, ob das Ende des Krieges wirklich so nahe war, wie wir gehofft und geglaubt hatten. Wir lebten jetzt seit fast einem halben Jahr unter der Erde, abgesehen von den drei Wochen im Gefängnis und den Tagen, die wir uns in Cabaj-Cäpor versteckt hatten, bevor wir verraten wurden. Das dunkle Loch deprimierte uns. Ungeduldig warteten wir darauf, dass die Front näher rückte, aber die Kampfgeräusche, die wir hörten, schienen sich wieder zu entfernen.
    Wir wagten jetzt häufiger, nach oben zu gehen. Abwechselnd verließen jeweils zwei von uns die Höhle, für etwa eine Viertelstunde. Ich freute mich, wenn ich Schüsse hörte und das Blitzen der Artilleriegeschosse am Horizont sah. In dieser Zeit luden uns Vincent und Anna wieder zu sich nach Hause ein, damit wir baden konnten. Wir ließen diesmal jegliche Vorsichtsmaßnahmen außer Acht, da die Juden von den Deutschen und ihren Helfershelfern nun nichts mehr zu befürchten hatten.
    Der März war fast vorbei, und nach Vaters Berechnungen war es bald Zeit, Pessach zu feiern, das Fest der Freiheit. Stundenlang munterte er uns mit der Geschichte unseres Volkes auf, das in Ägypten versklavt gewesen war, erzählte von Moses und den Wundern, die den Juden in jenen Tagen widerfahren waren. Er sprach über die Symbolik jener Zeit für unser Leben, denn auch wir sehnten uns danach, befreit zu werden.
    Eines Tages, gegen Ende des Monats, kam Vincent, um uns zu berichten, dass die Russen näher rückten und die Dorfbewohner in heller Aufregung seien. Man hörte Gerüchte, dass die einheimischen Faschisten und die Nazikollaborateure in Nitra und anderswo nun die Rache der Sieger fürchteten.
    Die Partisanen griffen überall an, brachten deutsche Versorgungszüge zum Entgleisen und waren dem Feind dicht auf den Fersen. Zahlreiche Angehörige der Hlinka-Garde desertierten, aber wenn sie den Partisanen in die Hände fielen, wurden sie kurzerhand exekutiert. Viele Distrikte in der Ostslowakei waren bereits befreit, und die wenigen verbliebenen Juden, die sich bis dahin versteckt oder als Christen ausgegeben hatten, genossen jetzt den besonderen Schutz der Befreier. Diese Berichte nährten unsere Hoffnung. Unsere Zeit im Untergrund war vielleicht in wenigen Tagen vorbei.
    Die Russen kommen
    Der Winter war vorbei. Die Luft roch nach Frühling. Das Zwitschern der Vögel drang bis zu uns unter die Erde und weckte unsere schlafenden, abgestumpften Sinne. Gegen Abend, wenn wir uns nach oben wagten, atmeten wir begierig den betörenden Duft der erwachenden Natur ein.
    Eines Morgens, Anfang April, als Mutter gerade das Frühstück verteilte - für jeden ein Stück Brot und eine Scheibe harten Weißkäse -, bebte die Erde über uns. Sandbrocken regneten auf uns herab. Wir sahen zur Decke, die nicht abgestützt war, und befürchteten, dass sie einstürzen würde. Die Petroleumlampe, die an der Wand hing und die wir zum Essen angezündet hatten, wackelte und fiel vom Haken - aber irgendjemand fing sie auf, so dass sie nicht auf die Erde fiel und zerbrach.
    Wir erstarrten und sahen uns entsetzt an. Mir fiel das Stück Brot aus der zitternden Hand. War das ein Erdbeben, das uns in diesem dunklen Loch für immer begraben würde? Unser erster Gedanke war, so schnell wie möglich aus dem Loch zu kriechen, trotz der Gefahr, entdeckt zu werden. Während wir noch zögerten, kam wieder ein gewaltiger Stoß. Vater löschte schnell die Lampe und meinte, wir sollten ruhig sein und abwarten.
    Einer der Jungen flüsterte, dass
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