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Eine betoerende Schoenheit

Eine betoerende Schoenheit

Titel: Eine betoerende Schoenheit
Autoren: Sherry Thomas
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Prolog
    ***
    Es geschah an einem sonnigen Tag im Sommer des Jahres 1886.
    Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Christian de Montfort, der junge Duke of Lexington, ein unbeschwertes Leben geführt.
    Seine Leidenschaft galt der Natur. Als Kind konnte ihn nichts mehr erfreuen, als schlüpfenden Vogelküken dabei zuzusehen, wie sie sich durch ihre zerbrechlichen Eierschalen pickten, oder Stunden damit zuzubringen, die Schildkröten und Wasserläufer zu beobachten, die den Forellenbach der Familie bevölkerten. Er hielt Raupen in Terrarien, um ihre Metamorphose zu bestaunen – wunderschöne Schmetterlinge oder einfache Motten, beides entzückte ihn gleichermaßen. In den Sommern, die er an der See verbrachte, zog ihn die Welt der Watttümpel in ihren Bann, und er verstand instinktiv, dass er einem harten Überlebenskampf beiwohnte. Gleichermaßen brachten ihn die Schönheit und die Unwägbarkeiten des Lebens stets zum Staunen.
    Nachdem er reiten gelernt hatte, verschwand er regelmäßig in die ländliche Umgebung seines imposanten Heims. Algernon House, der Familiensitz der Dukes of Lexington, lag in einem abgelegenen Winkel des Peak Districts. An dessen Horn- und Kalksteinhängen ging Christian mit einem Stallknecht im Schlepptau auf die Jagd nach Fossilien von Bauchfüßern und Weichtieren.
    Gelegentlich stieß er auf Widerstand. Was seinen Vater anging, so hieß dieser die wissenschaftlichen Interessen des Sohnes in keiner Weise gut. Christian war jedoch von Geburt an mit einem Selbstvertrauen gesegnet, das zu entwickeln die meisten Männer Jahrzehnte brauchten, wenn es ihnen überhaupt gelang. Wann immer der alte Herzog über seinen so wenig standesgemäßen Zeitvertreib wetterte, erkundigte sich Christian lediglich gleichgültig, ob er es etwa seinem Vater nachtun und dessen Lieblingsbeschäftigung im gleichen Alter nachgehen sollte und den Dienstmädchen im Herrenhaus nachsteigen.
    Als hätten ein derartiges Nervenkostüm und eine solche Abgeklärtheit nicht ausgereicht, war er zudem groß gewachsen, stattlich gebaut und im klassischen Sinne gutaussehend. Er glitt mit der Kraft und Unverwüstlichkeit eines Panzerschiffes durch das Leben, verfügte über ein sicheres Auftreten und war sich seiner Ziele wohl bewusst.
    Sein erster flüchtiger Blick auf Venetia Fitzhugh Townsend bestätigte ihn nur noch mehr in dieser Gewissheit.
    Das alljährliche Kricketspiel zwischen Eton und Harrow, ein Höhepunkt der Londoner Saison, war gerade für den Nachmittagstee der Spieler unterbrochen worden. Christian verließ den Harrow-Mannschaftspavillon, um mit seiner Stiefmutter zu sprechen – die, jüngst von ihrer Hochzeitsreise mit ihrem neuen Ehemann zurückgekehrt, genau genommen nicht länger seine Stiefmutter war.
    Christians Vater, der verstorbene Herzog, war eine Enttäuschung für alle gewesen, da er so aufgeblasen wie lasterhaft gewesen war. Er hatte jedoch bei der Wahl seiner Ehefrauen eine glückliche Hand bewiesen. Christians Mutter, die zu früh gestorben war, als dass er sich noch an sie erinnern konnte, war allen Erzählungen zufolge eine wahre Heilige gewesen. Seine Stiefmutter hingegen, die nur wenig später in sein Leben getreten war, hatte sich als verlässliche Freundin und treue Verbündete erwiesen.
    Vorhin, mitten im Spiel hatte er die verwitwete Herzogin gesehen. Aber jetzt stand sie nicht länger an derselben Stelle. Als er mit den Augen den gegenüberliegenden Rand des Spielfeldes absuchte, blieb sein Blick kurz an einer jungen Frau hängen.
    Sie saß im hinteren Teil einer offenen Kutsche und verbarg ihr Gähnen anmutig hinter vorgehaltenem Fächer. Ihre Körperhaltung war entspannt, als hätte sie sich heimlich des Korsetts entledigt, das andere Damen zwang, steif wie Statuen dazusitzen. Wodurch sie sich allerdings wirklich von den anderen abhob, war ihr Hut – ein Krönchen aus apricotfarbenen Federn, das ihn an die Seeanemonen erinnerte, die ihn in seiner Kindheit so fasziniert hatten.
    Sie klappte ihren Fächer zusammen, und er vergaß die Seeanemonen vollkommen.
    Ihr Gesicht … Ihm stockte der Atem. Nie zuvor hatte er so strahlende, makellose Schönheit gesehen. Sie war keine Verlockung, sondern Verheißung, wie der Anblick der rettenden Küste für einen Schiffbrüchigen, und er, der sich seit seinem sechsten Lebensjahr auf keinem gekenterten Schiff mehr befunden hatte – und damals hatte es sich lediglich um ein umgekipptes Paddelboot gehandelt – fühlte sich plötzlich, als sei er sein Leben lang
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