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Geschichten aus der Müllerstraße

Geschichten aus der Müllerstraße

Titel: Geschichten aus der Müllerstraße
Autoren: be.bra Verlag , Hinark Husen , Robert Rescue , Frank Sorge , Volker Surmann , Heiko Werning
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Fritteusin wortlos zwei Fläschchen aus der Auslage kramte. Jägermeister. Die Warnlampen brannten durch.
    Schon torkelte der Dichter wieder auf unseren Stehtisch zu, zwei Papptabletts balancierend, dazu knallte er die Fläschchen des Grauens auf die Tischplatte. Wir schraubten sie auf, prosteten uns zu, ließen das Gift in unseren Körpern verschwinden und warfen sofort Wurststück um Wurststück hinterher, ist ja nicht viel dran, an so einer Wurst, ruckzuck war sie verschwunden. Der Dichter nahm das Tablett, streckte seine fleischige Zunge heraus und ließ sie in der reichlich übrig gebliebenen Ketchup-Curry-Masse kreisen, als wäre sie auch eine Wurst, er wälzte sie ausgiebig darin, dann ließ er sie großflächig über die Pappe streichen, erst noch vorsichtig, dann aber zunehmend sicherer und bestimmter, am Ende strich er mit professioneller Gründlichkeit darüber, als gelte es, seltenes Porzellan zum Glänzen zu bringen. Und erst, als kein Ketchupmolekül mehr auszumachen war, weder optisch noch offenbar geschmacklich, ließ er von dem restlos ausgeweideten Pappkadaver ab, sah kurz mich an, kurz mein Tablett, auf dem das Plastikgäbelchen in der Mixtur aus ausgetretenem, gelblichem Fritteusenfett und rotbräunlich zähem Saucenrest senkrecht stand, so zäh war die Masse, und ehe er es sich krallen konnte, fragte ich: »Nehmen wir noch eine Wurst? Diesmal bin ich dran!«
    Ich wankte zur Luke, und es war mir nicht mal mehr peinlich, als ich sie bestellte, und den Jägermeister, und noch zwei Bier, jetzt war ohnehin alles egal. Nun aber musste auch mal etwas heraus, verdammt, dachte ich, und dann fiel mein Blick auf sie: Direkt neben dem Imbiss stand sie, seit ich hier wohne stand sie da, und nie, niemals hätte ich es für möglich gehalten, einen Fuß in sie zu setzen. Ich kicherte irre, wühlte in meinem Portmonee, dann warf ich ein Fünfzig-Cent-Stück in einen Schlitz, wie von Geisterhand glitt eine Tür zur Seite und ich betrat sie: die erste City-Toilette meines Lebens. Der Dichter blickte mir besorgt hinterher, als die Tür wieder zuglitt.
    Auch ich hielt es durchaus für möglich, dass dies das Portal zu einem anderen Universum war, vielleicht auch zum Hades, ein widerliches bläuliches Licht herrschte im Inneren des kreisrunden Teils, ein intensiver Duft umfing mich. War ich schon in einer fremden Galaxis, war ich in einem Raumschiff? Waren sie gekommen, um mich zu holen? Feierlich schritt ich vor zum Cockpit und reichte der fremden Lebensform, die da still und ehern vor mir stand, zur Begrüßung mein Glied.
    Der unangenehme Geruch in dem Ding und der weichende Blasendruck holten mich in die Wirklichkeit zurück, oh Gott, ich war in einer City-Toilette! Schnell schüttelte ich ab, die letzten Tröpfchen wichen wie bei einer Currywurst im Griff der Fritteusin, mich fröstelte ein wenig, dann wollte ich fliehen von diesem Ort des Grauens und stand ratlos vor dem vermeintlichen Ausgang, aber nichts tat sich. Ich spürte Angst. War es doch eine Falle? Ich drückte und rüttelte, nichts passierte. Entsetzen stieg in mir auf. Sie hatten mich! Mein letztes Stündlein hatte geschlagen. In einer City-Toilette. Um Gottes Willen. Das durfte nicht sein! Ich schrie um Hilfe. Draußen hörte ich den Dichter.
    »Was’n los?«
    »Ich komm hier nicht mehr raus!«, brüllte ich. Es wurde für eine Weile still, dann hörte ich Schritte und seine Stimme: »Da muss irgendwo ein Knopf sein!« Ein Knopf! Damit hatte ich nun nicht gerechnet, aber tatsächlich, da war ein Knopf, die Tür glitt auf, breit grinsend stand der Dichter vor mir, in jeder Hand ein Tablett mit unseren Würsten, sein Blick hatte längst etwas Wahnhaftes.
    »Hier, heiß und scharf«, lachte er mir kehlig entgegen, dazu die Jägermeister, mühsam krallte ich mich am Stehtischchen fest, als ich plötzlich dachte, ich sähe nun schon vollends doppelt. Der Dichter schleckte wieder sein Tablett sauber, daneben stand jemand, in einer Hand eine Plastiktüte, in der anderen eine Flasche Korn, er starrte auf den Dichter und seine gründlich arbeitende Zunge, dann sagte er plötzlich: »Ich kenn Sie doch!«
    Der Dichter ließ das Papptablett sinken und blickte ihn irritiert an, sein Gesichtsausdruck war umgeschlagen ins Abwehrend-Aggressive. Au weia, dachte ich, hoffentlich gibt’s jetzt nicht noch ’ne Schlägerei, da sagte die abgerissene Gestalt: »Sie sind doch Dichter, oder nicht? Doch, ich habe Sie mal gesehen, Sie sind Dichter!«
    Der Dichter schaute
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