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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust
Autoren: Jürg Federspiel
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streichelte die Blüten und Knospen, genoß die Sinnenreize, die diese Liebkosungen in ihr auslösten, flüsterte Zärtlichkeiten, die ihrem eigenen Körper galten, und dachte an den jungen Komponisten: tot, mit geschlossenen Augen, eine hohe Stirn und feingliedrige Hände, die Saiten zum Klingen brachten.
    Robusti schien erraten zu haben, wo sie mit ihren Gedanken verweilte, trug einen Stuhl zum Bett und ließ seine Finger über die Blumenknospen streichen.
    Laura schloß die Augen, ihre Oberlippe zitterte, und Robusti entging es nicht, wie ihre Oberschenkel bebten. Er legte seine schwere Pranke auf ihr Kreuz und drückte sie aus der Kniestellung behutsam auf Kissen und Seidentücher nieder.
    »Hör zu, mein Kind«, begann er, »hör zu, bis ich zu Ende gesprochen habe, und sag dann ja oder nein, verstanden?«
    Sie nickte, ließ ein Stück Seide zwischen ihre Zähne streifen, saugte daran und genoß die Flüssigkeit in ihrer Mundhöhle.
    »Schau die Welt an«, sprach Robusti leise, »ich will sie dir schenken. Schau sie an!«
    Laura hob ihren Kopf ein wenig und betrachtete den erleuchteten Globus.
    »Das soll ein Geschenk sein?«
     
    Robusti ging schweigend hinaus. Der Boden schwankte unter seinem Gewicht. Die Kraft der Ahnen hatte sich in ihm zusammengeballt, schwere Bauern- und Bäuerinnenseelen, und er geriet über sich selbst in Zorn, wenn er sich seiner Herkunft erinnerte. Mit Vorfahren, die Bauern gewesen waren, hatte er nichts zu schaffen. Er allein war reich und mächtig geworden. Er hatte sein Imperium geschaffen, nicht lausige Schafhirten und gebärfreudige Weiber, die tagelang Maiskörner zerstampften und Holzscheite stumpfsinnig im Kamin verschoben. Er, Robusti, hatte seinen Reichtum erworben, niemand sonst.
    Als Neureicher wollte er trotzdem nicht gelten.
     
    Vor der sakrosankten Kammer seiner Mutter blieb er stehen, nestelte an einem Schlüsselbund, klaubte zwei winzige Schlüssel hervor und erzeugte mit einer Lampe von der Größe eines halben Bleistiftes geisterhaft magisches Licht, das die russischen Astronauten auf ihren Weltraumflügen begleitet.
    Nach einigem Zögern öffnete er die Tür zu eben der Kammer, in der seine Mutter vor drei Jahren gestorben war, zweiundneunzig. Es roch nach Hundefutter, faulendem Leder und nach Mottenkugeln. Nur einmal im Monat schob er eigenhändig die Vorhänge zur Seite und ließ für wenige Minuten frische Luft herein. Spinnengewebe überall, und in einer Ecke schwang das gewaltige Pendel einer Standuhr, Tag und Nacht, jahraus, jahrein; die Zeiger jedoch blieben stehen. Nichts erinnert so aufdringlich an die Sterblichkeit wie stehengebliebene Uhrzeiger.
    Robustis Mutter ruhte laut amtlicher Eintragung in einer Familiengruft (die meisten Namen auf dem Monument waren erfunden), aber wie so oft saß die Mutterleiche heute in ihrem Sterbezimmer. Sie ahnte, ja wußte immer, wenn der Familie, der lebenden oder der toten, Gefahr drohte.
    Sie stand in einer Zimmerecke, ein Skelett mit matten, geschrumpften Augen wie schlaffer Gummi einstiger Luftballons.
    »Wie kannst du mir das wieder antun.« Ihre Stimme klang wie durch einen mit Watte verstopften Trichter.
    »Wie kannst du mir das antun?«
    »Bitte misch dich nicht ein«, sagte Robusti sachlich.
    »Ich bin beschäftigt, wie du siehst.«
    »Ich sehe es, jawohl, und es macht mich krank.«
    »Für Krankheit ist es nun wirklich zu spät«, antwortete der Sohn und öffnete eine kaum zu erkennende Konsole. Sie war mit Spinnennetzen überdeckt, Grünspan bedeckte die Kupferzierate.
    Die Mutterleiche stieß einen Schrei des Entsetzens aus.
    »Du suchst die Schatulle mit meinem Schmuck. Meinem Schmuck, den du mir während Jahrzehnten geschenkt hast, als du reich wurdest mit deinen Verbrechen –«
    »Halt den Mund – ich wurde reich mit dem Ankauf von Kunst. Die Verbrechen waren längst vergessen. Jedermann hat ein Recht auf Kunst und Verbrechen. Verschwinde! Ich besuche dich nächste Woche und bringe dir Blumen.«
    »Schäm dich«, flüsterte die Mutterleiche.
    »Gute Nacht, Mutter. Schlaf wohl.«
    Robustis Mutter schrie, höflicherweise unhörbar, wie es unter Verstorbenen üblich ist, bedeckte ihr Gesicht mit einem Schleier, verschwand zeternd hinter der Tapete und drohte wie immer, sie komme zurück; das Fenster flog auf, und der Nachtwind bauschte die Vorhänge.
    »Hure«, schrie Robusti, der sich mit seiner Angst vor Erkältung bereits als Opfer einer Lungenentzündung sah.
    Er atmete einige Male tief und blies den
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