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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust
Autoren: Jürg Federspiel
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nur aus dem gegenwärtigen Augenblick so etwas wie eine Strategie entwickeln kann. Nie starr, immer flexibel. Napoleon hatte bekanntlich ausgeprägt weibliche Züge.
     
    Lucia hielt etwas hinter ihrem Rücken versteckt, als sie zurückkam.
    »Für dich«, sagte sie lächelnd. »So will es der Herr. Ich soll dich damit schmücken!«
    Sie näherte sich dem Bett, ein Bukett in der Hand: leuchtende gelbe, rote und weiße Serenaröschen, deren Stiele kaum mehr als fünf Zentimeter lang, entdornt und gehäutet waren. Die Knospen waren prachtvoll, leicht geöffnet.
    »Ich soll dich damit schmücken«, wiederholte Lucia, »aber nicht irgendwo. Hier, genau hier!« Sie klatschte auf ihren eigenen strammen Bauernmädchenhintern. »Zieh das Hemdchen aus und leg dich auf den Bauch.«
    Laura gehorchte.
    Lucia setzte sich auf den Bettrand, schob eine Stehlampe näher und betrachtete wie eine Krankenschwester das fleischliche Objekt, befühlte es mit Daumen und Zeigefinger, streichelte über die Haut.
    Laura kicherte.
    »Keine Angst«, sagte Lucia forsch, nun wie eine Nachtschwester auf ihrem Mitternachtsrundgang. »So, und nun halt mal ruhig. Entspanne dich, verkrampfe die Hinterbacken nicht wie eine Jungfer, ja, so, versuch dir die Hände eines Mannes vorzustellen, eines jungen, schönen jungen Mannes, Signore Robusti vor vierzig Jahren im Armani-Anzug.«
    Laura nickte, froh, ihr Gesicht mit den Haaren schützen zu können, weil sie errötete. Lucia lachte. »Deine Wangen haben sich gerötet, nicht wahr? Entzückend. Die beiden fetten Wangen hier sind auch errötet. Gleichzeitig! Schon wieder was gelernt!«
    »Fett?«
    »Unsinn. Fest wie eine Melone. So. Ich beginne.«
    Sie teilte Lauras Hinterbacken und begann die Blumenstiele sorgfältig einzupflanzen. »Du bist rund«, bemerkte sie, »die Stiele sind fast zu knapp gekappt, großartig. Das wird eine Augenweide! Psst!« zischte sie. »Ich glaube, er kommt. Der Boden bebt.«
    Sie erhob sich, eilte tänzelnd zur Tür und öffnete sie im richtigen Augenblick. Signore Robusti hatte eine Weltkugel in das Zimmer tragen lassen und hielt ein paar voluminöse Bücher unter den linken Arm geklemmt. Er bedankte sich grollend und doch freundlich, schlug jedoch mit dem Schuh die Tür hinter sich zu, bevor Lucia sie gebührend leise hätte schließen können, brüllte dann: »Lucia, Lucia!«
    »Ich bin hier!« sagte Lucia. »Direkt hinter Ihrem Rücken.«
    »Nimm mir die Bücher ab«, herrschte er sie an, »trag sie zum Tisch dort.« Lucia gehorchte, zwinkerte Laura zu und eilte hinaus, die Tür langsam und sorgfältig zuziehend, bis auf einen winzigen Spalt.
    »Türe zu!« rief Robusti. Man vernahm das Klicken des zufallenden Schlosses.
    Robusti betrachtete den Blumenschmuck mit Gier in den Augen, und Laura hielt es für durchaus möglich, daß er überlege, ob er sich die Röschen als Vorspeise oder Nachtisch genehmigen solle. Ein blumenfressender Kannibale. »Hübsch«, bemerkte er schließlich. »Trotzdem, ich werde wieder eine professionelle Floristin anstellen müssen.«
    Das war alles.
     
    Die Weltkugel, sie hatte fast einen Meter Durchmesser, stand auf dem Teppich. Er bückte sich nach einem elektrischen Verlängerungskabel und schob den Stecker ein.
    Laura, nun wieder in Kniestellung, sah zu, wie ein kleines Licht aufglomm und langsam, sehr langsam den Planeten der Welt von innen her erleuchtete.
    Eine Farbenpracht. Laura setzte ihren Kinderblick auf.
    Das Licht wurde stärker und stärker, aus einem Lautsprecher setzte Musik ein: Klänge, die nicht zum Diesseits gehörten, nicht zu dieser Welt, und sie hob den Blick zu diesem Mann, demütig. So jedenfalls wollte er sie sehen: demütig.
    »Sphärenmusik«, sprach er feierlich. »Ich habe vor Jahren einen jungen Komponisten damit beauftragt; er arbeitete zwei Jahre daran und übergab sie meinem Anwalt.«
    »Wieso einem Anwalt?« Laura stellte die Frage, um ihre Lippen zu bewegen. Sie dachte sich dabei nichts. »Ich bin ein Verehrer der Kunst«, sprach Robusti salbungsvoll und trotzdem nicht ohne Selbstironie: »Künstler jedoch irritieren mich. Entweder schweigen sie oder reden pausenlos. Es ist nur ihr Werk, das mich interessiert.«
    »Wie heißt der junge Komponist?« fragte Laura.
    »Nur mein Anwalt kennt seinen Namen.«
    »Hat er viel Geld bekommen?«
    »Überhaupt keins. Leider. Er starb zehn Tage nachdem er sein Werk abgeliefert hatte.«
    »Schrecklich«, kommentierte Laura und führte ihre Hand zum beblumten Hinterteil,
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