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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust
Autoren: Jürg Federspiel
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bebte.
    Und das war es, was Robusti gewöhnt war und was ihm immer gefiel: diese erwartungsvolle Ergebenheit. Robusti nahm Platz in jener Sitzgelegenheit, die Männlichkeit verkörperte, nämlich in einem Fauteuil aus Leder, dank dessen Sanftheit und Biegsamkeit man auch Peitschen hätte daraus herstellen können. Je näher man kam, desto stärker war der Geruch von Leder. Robusti kannte für alles einen Fachmann, einen Experten, und natürlich auch einen für Leder: ein aus Argentinien zurückgekehrter Emigrant namens Davio Minotta wußte auf jede Lederfrage eine Antwort.
    »Zieh dich aus«, befahl Robusti leise und wiederholte, diesmal fordernder und nach einer halben, stillen Minute gebieterisch: »Zieh dich aus. Langsam. Ohne Hast.«
    »Alles ganz langsam«, wiederholte er, »für jede Minute des Wartens wirst du zehntausend Lire bekommen. Zuerst das linke Strümpfchen, ja?«
    Es mag interessieren, daß in einer Minute das Gehirn eines Neugeborenen um zwei Milligramm wächst.
     
    Laura gehorchte, zählte die Sekunden mit ihren Herzschlägen, die sich verdoppelt hatten, blieb jedoch erstaunlich ruhig. Nur Männer halten eine Erhöhung des Pulsschlags für eine Anormalität ihres Gesundheitszustandes.
    »Ich werde dir sagen, wann eine Minute vergangen ist«, bemerkte Robusti. Er hatte Knie über Knie gelegt und drehte eine Zigarre in den Händen, die er umständlich mit einem Feuerzeug erwärmte und schließlich zum Glühen brachte. Er beendete diese Prozedur und warf ein kleines Bündel Geldscheine auf den Teppich.
    Lauras Bluse lag daneben.
    »Von nun an drei Minuten, und der Betrag wird verdoppelt.«
    Lauras Gesicht wurde maskenhaft. Sie schien ihre Finger und Hände zu kontrollieren, als gehörten sie nicht zu ihr, bloß wartend auf die Befehle. Sie wußte mit dem Körper zu spielen, sie sah ihm zu, lenkte ihn und wußte ihn dennoch im Besitz von Robustis Augen. Allmählich wich ihr erstarrter Gesichtsausdruck einem triumphierenden Lächeln, dessen sie sich nicht bewußt war. Sie träumte von einer Photographie, die sie in einer Zeitschrift gesehen hatte: Mussolini, baumelnd, mit schlaff herabhängenden Armen, auf der Piazelle Loreto: der Wachtraum dauerte siebenundzwanzig Sekunden, die Zeit, in der sich eine Gewitterwolke wieder auflädt.
    Endlich war sie nackt.
    Signore Robusti erhob sich scheinbar gleichgültig, ging hinaus, kehrte nach einer Viertelstunde in einem schwarzseidenen Smoking-Jackett und in grauseidenen Pyjamahosen zurück und löste mit seinen feisten Bauernhänden fast ohne Geräusch den Korken einer Champagnerflasche und füllte ein Glas, leicht angewidert, weil dies die Aufgabe eines Hausmädchens gewesen wäre; die Dienerschaft war aber auf seinen Befehl hin verschwunden.
    Nun begann das schon tausendfach vollzogene Zeremoniell. Die Frau seiner Wahl für die Nacht war zunächst nur ein Objekt der Betrachtung, des Studiums. Sie hatte zu schweigen und seinen unmißverständlichen Handbewegungen zu gehorchen, auf daß er jeden Körperteil genau betrachten konnte. Auf dem Rücken liegend, den rechten Oberschenkel angezogen, ihn nach Minuten wieder senkend, dann auf dem Bauch, wobei die Waden langsam zu rudern hatten; dann in herausfordernder Kniestellung mit durchgebogenem Kreuz – und unzähliges andere, denn zu jeder Position gibt es eine Gegenposition. Und wieder erschien vor ihrem inneren Augen das Bild des baumelnden Mussolini.
     
    Lauras Anblick war einzigartig. Sie war stark und elastisch wie eine im Sommer geborene Katze. Das Kunstwerk eines Körpers, der Robusti mit tiefem Glauben an Gott erfüllte, der sich ohne Zweifel mit ihm beim Anblick dieser weiblichen Schönheit erlabte.
    Ganz besonders erregend empfand er Lauras Haarflut, die so dicht war, daß man mit ihr mehrere Theaterperücken hätte anfertigen können. Dunkel glänzend wie regenbenetzte Baumrinde, und Brüste in Überfülle unter dem zerbrechlichen, zierlichen Oberkörper, wenn sie sich bückte.
    Das göttlichste an ihr waren die Hinterbacken, wie von einem Zirkel gezeichnet, perfekte Rundungen, makellos fest, glatthäutig.
     
    Lauras Verlangen erwies sich nun, da sie der Bewunderung des Betrachters so lange ohne Berührung ausgesetzt gewesen war, als unermeßlich, und als sich Robusti endlich näherte, küßte sie seine Hände, seufzte und sog an jedem seiner stämmigen Finger wie an einem Surrogat dessen, was sich unter dem seidenen Morgenrock mächtig und aufgereckt abzeichnete. Der Besitzer des Zepters, Primo
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