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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust
Autoren: Jürg Federspiel
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Antonio Robusti, erbarmte sich. So jedenfalls stellte er sich das vor.
     
    Engel sind ständig unter uns. Ein Engel läßt es jedoch nie zu, daß man ihn erkennt. Manchmal ist ein Engel sogar für den andern nicht erkennbar, denn die Wirkungskreise der Engel sind streng voneinander getrennt, obschon keine Rivalität zwischen ihnen besteht.
     
    Ja, nun da Laura sich hingab und Schreie der Freude ausstieß, spazierten die beiden Engel Abalidoth und Aba am Bett vorbei. Beide sind nach der Kabbala Engel der Sexualität.
    Sie hörten eine Weile zu, schüttelten den Kopf und lösten sich alsbald in Engelhaftigkeit auf, was dem Ungeheuerlichen des kosmischen Orgasmus entspricht.

SECHS
    Die Bibel besagt, Gott habe Adam und Eva nach seinem Ebenbild geschaffen, nackt. Also trägt Gott keine Kleider. Es fällt schwer, sich Gott mit einer Krawatte oder einem Fußballeibchen vorzustellen. Dennoch beten viele Leute, meist nachts, im Pyjama oder Nachthemd, Gott möge ihnen Geld schenken oder wenigstens ihren Reichtum bewahren helfen, und die Freunde des Fußballs beten zu Gott, er möge am Sonntag ihre Mannschaft siegen lassen, kurz, Gott spaziert splitternackt im Universum, während wir Sünder ihn bitten, unsere diversen Blößen zu bedecken. Adam und Eva erkannten ihre Nacktheit erst, als sie sich dem Sündenfall ergeben hatten. Und so entdeckten sie die Scham und bedeckten ihre Schamteile. Nach der Vertreibung aus dem Paradies begann sich Eva zu schminken, während sich Adam auf dem Feld abrackerte und schwitzte. »Wenn ich mich schon wegen der Scham mit Schafpelzen einkleiden muß«, belehrte Eva Adam, »so kann ich ebenso gut in meinem Gesicht, früher Antlitz genannt, mit ein wenig Ruß die Augenbrauen schwärzen, die Lippen mit verdünntem Ochsenblut röten und die Augenlider mit Veilchensaft einbläuen, und wenn du dich nach der Arbeit geduscht hast, wirst du mich heftiger begehren als je zuvor! Übrigens bin ich schwanger.«
    »Was ist das?« fragte Adam mißtrauisch und begriff die Welt nicht mehr als zuvor. Noch weniger, als Eva ihm eröffnete, ihrem Leib entwachse in absehbarer Zeit ein Kind.
    »Was ist jetzt das wieder – ein Kind?« fragte er. »Das ist die Quintessenz der Vertreibung aus dem Paradies«, antwortete Eva, »ach, du wirst schon sehen. Vermutlich wirst du etwas mehr arbeiten müssen. Das ist alles. Ich denke, es wird ein Sohn sein.«
    »Ein was?«
    »Ein Sohn. Er wird dir ähnlicher sehen als mir, und wir werden ihn Kain nennen.«
    »Warum Kain?« fragte Adam neugierig.
    »Weil er später seinen Bruder umbringt, liest du eigentlich kein Buch?«
    »Meinetwegen«, antwortete Adam mürrisch, »Kain tönt nicht schlecht.« Und damit trottete er wieder an die Arbeit.
    »Kain wird ein Mal auf seiner Stirn tragen«, rief Eva ihm nach, »eine Tätowierung, man wird sie das Kainszeichen nennen. Steht übrigens in der Bibel.«
    Adam antwortete nicht. Wie jeder echte Mann brachte er kein Verständnis für Romanlektüre auf.
    Und damit kommen wir zu Kain, der später seinen Bruder Abel umbrachte. War es eine Strafe Gottes, oder tätowierte sich Kain das Zeichen des Brudermörders selbst auf die Stirn?
    Es gibt keine Antwort. Das Kainszeichen war die erste Tätowierung.
    Für die Christen war die Verunzierung der Haut eine Sünde. Wann begegneten sie dieser Sünde zum ersten Mal?
    Im Jahre 1776.
    Damals nämlich hatte der berühmteste Kollege des Entdeckers Kolumbus, ein Engländer namens James Cook, den tahitianischen Prinzen Omai in seine Heimat geschifft und der höheren Gesellschaft und dem Volk vorgeführt. Prinz Omai wies mit wunderbaren Handbewegungen auf die acht Tätowierungen seiner Hände und signalisierte damit die Anzahl seiner Frauen. Er war ein stattlicher Mann. Besonders die weiblichen Zuschauer waren ergriffen, als sie vernahmen, wie faszinierend bunt andere seiner Glieder bemalt waren. Unaustilgbare Kunst war in seine Haut eingraviert, und man gab sich nachts in den Kissen Mutmaßungen hin, was diese Tätowierungen darstellen mochten.

SIEBEN
    Laura, ermattet, verschlafen, mit wohlig schmerzenden Oberschenkeln, wurde von Signore Robusti am späten Morgen geweckt, ja er brachte ihr sogar das Frühstück höchstpersönlich ans Bett und küßte die Schatten unter ihren Augen, Zeichen nächtlicher Genüsse.
    Sie überlegte, schüttelte den Kopf mit den verklebten Haaren, faltete die Hände hinter seinem Stiernacken und küßte seine Lippen. Er trug wiederum ein Morgenjackett, diesmal aus
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