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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust
Autoren: Jürg Federspiel
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Kreuz.
    Dann begab er sich zum Dachboden, der befestigt war wie seinerzeit die Maginotlinie. Hier standen unzählige Kunstwerke, aneinandergereiht wie Bücher: Bilder von Rembrandt, Manet, van Gogh, Gauguin, Goya, Klimt, aber auch Bilder moderner Maler, die er persönlich kannte: Sam Francis, Julian Schnabel, Al Held und andere.
    In einem Verlies, dem Sancto Sanctorum, hortete er Bibeln, darunter mehrere Exemplare der Gutenbergbibel, der Holbein- und Lutherbibel aus dem frühen 16. Jahrhundert, zwei Kurfürstenbibeln von 1483, mehrere Exemplare der Wittenbergbibel – ja, auch mit Religion hatte er sich für den Fall eines nuklearen Kriegs für mehrere Jahrhunderte eingedeckt.
    Natürlich waren diese ganzen weltlichen und geistlichen Schätze eingemauert, verkettet, mit Schuß- und Alarmanlagen versehen, ja selbst eine Fliege hätte sich in diesen Verstecken keine fünf Minuten aufhalten können, ohne in Handschellen abgeführt zu werden. Dieser immens reiche Mann, dessen sorgloser Lebensstil in ganz Mailand bekannt war, hieß Primo Antonio Robusti. Doch so einfach war sein Leben nicht. Er fühlte sich oft einsam inmitten seines Reichtums, er langweilte sich und wurde aus bloßer Langweile grausam. Zum Beispiel lockte er Ratten in Fallen und sah zu, wie sie langsam erwürgt wurden. Dann ließ er sie mumifizieren, ausstopfen und vergolden, um sie auf die Stufen zu den Kellergewölben zu legen, so daß jeder Eindringling zu Tode erschrecken würde: jede fünfzehnte Sekunde blinkten die grünen Glasaugen der Ratten auf.
     
    Der reiche Mann, von dem hier die Rede ist, duldete nur Seide in seinem Palazzo. Selbst die Dienerschaft ging in Seide oder ausnahmsweise in Samt. Wenn es sich nicht um Kunst handelte, galt sein ganzes Fühlen und Denken schönen Frauen, die er aus London, Genf, Kairo oder Los Angeles einfliegen ließ. Sie hatten, nur in zarten Dessous, in verschiedenen Vorzimmern zu warten, wurden in Nerzmäntel gehüllt, die sie später bei den Dienern wieder abgeben mußten. Nach zwei, drei Stunden fuhr einer der Chauffeure sie zurück zum Flughafen.
    Etwas, das Signore Robusti noch mehr fürchtete als Einbrecher, war eine Erkältung. Vom Schnupfen zur Lungenentzündung war nur ein kleiner Schritt. Der Tod war für ihn die Ungerechtigkeit der Schöpfung angesichts seines Reichtums. Natürlich beschenkte er mäzenatisch jede Forschung, die sich mit Erkältungskrankheiten befaßte, mit beachtlichen Summen. Für ein versehentlich offengelassenes Fenster in seinem Schlafzimmer hätte er Diener oder Dienerin im Sand von Ostia von Mafiosi lebendig begraben lassen.

ZWEI
    Unter diesem Primo Antonio Robusti muß man sich einen nicht sehr großgewachsenen, breitschultrigen, immer elegant gekleideten Mann vorstellen. Einzig die Hände – das Erbe derber Bauern – störten diese Eleganz ein wenig. Seine Glatze hatte er mit einer Totalrasur des immer gebräunten, schmalen Schädels in eine ästhetische Modellstudie verwandelt. In seinem wachen, intelligenten Gesicht mit der großen Condottiere-Nase (die Meisterleistung eines Schönheitschirurgen in Genf fielen besonders hellgraue Augen auf (ursprünglich braun und nun dank gefärbter Kontaktlinsen verwandelt). Interessant machten ihn auch schmale, entschlossene Lippen, dem Schriftsteller Alberto Moravia nachgeahmt.
    Schöne Frauen in ihren herrlichen Vierzigerjahren bestaunten diesen Primo Antonio Robusti, wenn er einem Wagen entstieg oder eine Hotelhalle betrat, und jüngere Frauen ahnten, wie kraftvoll dieser Mann sein mußte, der seine zivilen Anzüge wie eine Generalsuniform trug.
    Der nicht zu übersehenden Bauernhände wegen trug er fast immer Handschuhe. Seine Stimme klang tief, melodiös sogar und väterlich befehlend.
     
    An zwei Abenden jeder Woche, dienstags und donnerstags, fanden in einem Salon des Grand Hotels Milan Einladungen statt, zu denen Signore Robusti Geschäftspartner und Freunde einlud, die sich natürlich mit ihren jeweiligen Freundinnen oder Geliebten einzufinden hatten. Niemand hätte es gewagt, in Begleitung seiner Gemahlin zu erscheinen, selbst Robusti hätte dies als unmoralisch empfunden: man bringt einen Freund nicht mit der eigenen Gattin in Versuchung.
    Aus sittlichen Gründen hatte er auch nie geheiratet, obschon in der Gesellschaft bekannt war, daß Robusti jeden Monat Alimente für vierunddreißig Kinder kreuz und quer den italienischen Stiefel hinunter bezahlte. Es gab einen Beauftragten, dessen Beschäftigung darin bestand, diese
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