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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust
Autoren: Jürg Federspiel
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burgunderroter Seide. Wortlos, streng und freundlich zugleich wickelte er sie aus den Leintüchern.
    Später drehte sie sich auf den Bauch, aß und trank mit beachtlichem Appetit, während er nicht satt wurde, ihr strotzendes Hinterteil mit inniger Hingabe zu betrachten und zu streicheln. Laura schwatzte dabei ungeniert, sang ein Lied, das während des Zweiten Weltkriegs angeblich von Partisanen gesungen worden war: »O bella ciao, bella ciao, bella ciao ciao ciao…« Robusti gebot ihr zu schweigen. Er mochte die Kommunisten nicht und noch weniger Kommunistinnen; er hielt sie für unsinnlich. Es gab außer dem Faschismus überhaupt keine sinnliche Politik. Wie jeder Italiener mit intellektuellen Ambitionen war Robusti allerdings auch ein eingeschriebenes Mitglied der kommunistischen Partei. Was er jedoch über alles bewunderte, das waren Kunst und Künstler.
    Einmal klopfte eine Dienerin an die Tür, ein junges Ding, das aus einem Dorf in der Nähe von Bologna stammte und einen Klumpfuß hatte. »Ich bin Lucia«, sagte sie und lachte sprudelnd. Sie begann aufzuräumen, den Boden zu kehren, abzustauben und dergleichen, nicht wirklich, sondern pantomimisch, was nun Laura zum Lachen brachte.
    Lucia Florentano hatte echtes tizianrotes Haar, fein ziselierte Gesichtszüge, eine winzige, dennoch gebogene Nase, nicht unähnlich einem Wellensittich. Ihr ganzes Wesen strahlte liebliche Entschlossenheit aus, ihr Körper war satt, gesund und gerundet, besonders in jener fleischlichen Gegend, die Robusti so sehr an Laura bewunderte; für einen Augenblick empfand sie so etwas wie Eifersucht, beruhigte sich aber, als Lucia sorglos erzählte, sie habe länger als fünf Stunden in diesem Bett verbringen dürfen, während im Nebenzimmer bereits eine neue Gespielin auf den Herrn und Meister gewartet und geflucht und geschimpft habe, weil sie die Geräusche der Liebe noch ein viertes und fünftes Mal habe mit anhören müssen. Sogar berühmte Schauspielerinnen und Damen aus der mailändischen Gesellschaft hätten es nicht über vier Stunden gebracht, in ebendiesem Bett.
    Laura nickte aufmerksam; sie warf einen verstohlenen Blick auf den Klumpfuß; Lucia war dieser Blick nicht entgangen.
    »Viele Männer sind besonders scharf auf eine Frau mit einem Klumpfuß«, sagte Lucia. »Sie denken, wir kämen ohnehin zu kurz.«
    »Verzeih«, antwortete Laura.
    »Ich weiß, was du denkst«, sagte sie, »aber die Bologneserinnen gelten als besonders geil, und zudem bin ich als Körperbehinderte ohnehin sinnlicher als normale Frauen. Robusti kennt sich aus in solchen Sachen. Er nahm mich derart dran, daß meine Lustschreie eine Alarmanlage im oberen Stock auslösten.«
    Laura lachte mit ihr.
    »Anderntags trug er mir diese Stelle als Zimmermädchen an. Eigentlich hab' ich's ganz schön. Woher kommst du?«
    »Calonzo, Apulien.«
    »Ein Dorf. Viel Familie?«
    Das war eine überflüssige Frage, und so unterhielten sich die beiden lebhaft über alles, was in einem abgelegenen idyllischen Dorf so vorkommt: Totschlag, Inzest, Ehebruch, erfundene Vaterschaft, Giftmord, Erbschleicherei und gemimte Invalidität.
    Dann sprachen sie wieder von Liebe und Bett.
    »Ich bin stur wie ein Esel, wenn ich keine Lust habe«, erzählte Lucia, »aber wenn es einem gelingt, mich hier zu berühren«, sie deutete auf ihre Körpermitte, »dann bin ich verloren. Und wär's der Teufel.«
    Laura lachte hell auf vor Entzücken und Sympathie und auch, weil Lucia Teppichklopfen und Bohnern bloß mimte, während sie erzählte.
    Wenn Robusti schlechter Laune sei oder einsam, fuhr Lucia fort, müsse man ihm so rasch als möglich einen Teller Spaghetti Carbonara vorsetzen. Er drehe dann die Spaghetti nicht um die Gabel, sondern wickle sie, so heiß sie auch seien, um die Finger der linken Hand und verschlinge sie in drei Minuten. Zuweilen habe er mitten im Essen seinen Leibarzt aus dem nahen Dorf kommen lassen, brüllend, er sei überzeugt, jemand habe seine Finger vergiftet. Nicht die Spaghetti, sondern die Finger. In Wirklichkeit habe er bloß vergessen, seine Handschuhe auszuziehen.
    Kein leichter Herr und Meister. Wenn man jedoch ein genaues Hinhorchen erlerne, so könne man seine Befehle zugunsten des eigenen Wohlergehens ausnutzen.
    Lucia lachte. Konkrete Beispiele wollte sie keine geben. Sie erhob sich und ging hinaus. »Eine Überraschung wartet«, lächelte sie geheimnisvoll, »ich bin gleich zurück.«
     
    Frauen zeigen selten Interesse für Geschichte. Sie wissen, daß man
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