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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss
Autoren: Jo Hanns Roesler
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sie.
    Sie schaltet das Radio ein.
    Die Wettervorhersage. Gewitter im Gebirge.
    Die Sturmwarnung hat sie bereits hinter sich.
    Bei Kilometerstein 92, bei einer Abzweigung, steht ein Mann auf der Straße und hebt seine Hand.
    Er trägt Blue Jeans, ein blaues Hemd, einen Bart.
    Valerie bringt ihren Wagen zum Stehen.
    Er läuft von hinten auf sie zu.
    »Danke!« sagt er, als er einsteigt.
    Ohne Übergang fährt er fort:
    »Die Frau hat mir nicht gefallen. Ich habe es erst gemerkt, als ich neben ihr saß. Sie hatte sehr viel Zeit. Wenn es nach ihr gegangen wäre, volle acht Tage.«
    »Das erschien Ihnen zuviel?«
    »Weitaus. Ich habe vierundzwanzig Stunden Zeit, maximal sechsunddreißig. Außerdem hat sie mir die Verantwortung aufgehalst.«
    »Die Verantwortung? Wofür?«
    »Wohin wir fahren und was wir unternehmen.«
    »Das behagt Ihnen nicht?«
    »Diesmal nicht. Vor vier Wochen hatte ich meinen Wagen vollgeladen mit Freunden und ihren Mädchen, für mich waren auch zwei vorgesehen, eine für jeden Tag — da trug ich die Verantwortung. Ich mußte planen, die Hotels auswählen, in denen wir übernachteten, mich um den Wagen kümmern, die Reise konnte nicht schnell genug und nicht weit genug sein. >Du mit deinem großen Wagen!< sagten sie. >Damit kommen wir leicht nach Italien!< In Sirmione warfen sie mir vor, daß wir nicht nach Florenz weiterfuhren. Von Florenz wollten sie nach Rom und, wenn das nicht, dann wenigstens nach Venedig. Heute habe ich mir gedacht: Stellst dich einfach an die Autobahn und läßt dich mitnehmen. Es liegt an Ihnen, wie weit Sie mich mitnehmen...«

    Am Spätnachmittag hatten sie den bekannten Ort an dem berühmten See erreicht. Valerie steuerte ihren Wagen zur Seepromenade und hielt an.
    »Hier trennen sich leider unsere Wege«, sagte sie, »ich hoffe, Sie finden noch eine Unterkunft.«
    »Sicher. Wenn es hier ein Hospiz für christliche junge Männer gibt.«
    Er schwang sich ohne Widerspruch aus dem Wagen.
    »Viel Glück für die Heimfahrt!« sagte Valerie und reichte ihm die Hand.
    Er beugte sich über ihre Hand und küßte sie.
    »Ich habe mich zu bedanken. Für das Mitgenommenwerden und das gute Mittagessen.«
    Damit ging er, ohne sich noch einmal umzudrehen, und war sofort unter den zahlreichen Spaziergängern der Seepromenade verschwunden. Valerie gab langsam Gas, ein wenig enttäuscht, und fuhr die Rampe zum See-Hotel hinauf. Im ersten Trubel des Empfangs in diesem Hotel, in dem zur gleichen Stunde zahlreiche Gäste ankamen, vergaß sie ihren Begleiter. Sie reichte den beiden Hausdienern ihre Koffer, die Mäntel und die Badesachen. Dann fuhr sie ihren Wagen zum Parkplatz des Hotels hinüber, der unter alten Kastanien lag. Sie fand einen günstigen Platz vor einer Bank, zur Seeseite hin gelegen, setzte sich und blickte auf den belebten See hinunter.
    »Dabei weiß ich noch nicht einmal seinen Namen!« sagte sie plötzlich halblaut vor sich hin. »Im Sommer sind sonderbare Leute unterwegs!«

    Valerie hat ein Zimmer im ersten Stock bekommen. Als sie ihre Koffer ausgepackt hat, tritt sie auf den Balkon, der zur Seepromenade gelegen ist. Ihr fällt plötzlich alles wieder ein über jenen Mann, und auf einmal hat sie ein ungutes Gefühl, als ob in der nächsten Minute etwas passieren muß, etwas Unangenehmes, aber es passiert zum Glück nichts.
    Unten auf der Promenade gehen die Kurgäste auf und ab, sitzen auf den Bänken, lehnen am Seegeländer und füttern die Schwäne. Da entdeckt sie plötzlich von hinten unter den Bäumen die blauen Hosen, das blaue Hemd, das rote Haar — er ist nicht allein, ein junges Mädchen ist bei ihm, ebenfalls in Blue jeans, sie gehen Hand in Hand, jetzt bleiben sie stehen und beugen sich über das Geländer, er legt seine Hand um ihre Schulter und blickt zum Hotel hinauf — sie atmet auf! Kein Bart, Gott sei Dank! Auch viel jünger als ihr Begleiter vom heutigen Tag. Daß einem eine blaue Hose einen solchen Schreck einjagen kann! Ein abscheuliches Kleidungsstück, diese Blue jeans! Aber ihm, von dem sie nicht einmal den Namen weiß, haben sie gut gestanden, besser als jedem anderen.
    Ach, weg mit diesem dummen Gedanken! Sie wird in die Bar hinuntergehen, gut essen, vielleicht auch ein wenig tanzen. Sie kennt das Hotel gut, ihr Vater hat es eingerichtet, sie ist hier wohl aufgehoben. Wenn sie darauf bestanden hätte, wäre sicher noch ein Zimmer frei gewesen. Dann könnte man jetzt zusammen hinuntergehen und gemeinsam essen, aber was hat sich so einer gedacht,
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