Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss
Autoren: Jo Hanns Roesler
Vom Netzwerk:
der nicht einmal einen ordentlichen Anzug mit hat? Er hat doch sicher einen daheim, wenn er schon einen Wagen besitzt. Wieso hat er einen Wagen? Das mit dem goldenen Zigarettenetui ist natürlich Angabe, aber einen Wagen, den hat schnell einer. Sie tritt zum Spiegel, um sich umzuziehen. Da ist nur noch ein wenig Traurigkeit um ihren Mund, schon ein wenig Heiterkeit, denkt sie an heute mittag zurück, als er sie bei Tisch bediente, das Huhn tranchierte und ihr die frischen Spargel kunstgerecht auf den Teller legte. Ob er Kellner ist? Kellner sehen oft wie Gentlemen aus, aber Kellner haben in der Ferienzeit Hochkonjunktur. Was kann er wohl sein? Architekt? Zahnarzt? Strafverteidiger? Oder nur ein Playboy, der vom Geld seines Vaters lebt?
    Als sie in die Bar hinunterkommt, die mit dem abendlichen Speisesaal verbunden ist, sitzt eine Galerie nichtstuender Männer an der Bar. Sie starren ihr aufdringlich nach, als sie an ihnen vorübergeht. Sie hat keine Angst vor der Neugier der Männer. Sie weiß, daß sie gut aussieht, besonders in ihrem Cocktailkleid. Aber der Abend endet anders, als sie sich vorgestellt hatte. Vielleicht war sie von der langen Anfahrt müde — warum hat er sie eigentlich nie am Steuer abgelöst oder es ihr wenigstens vorgeschlagen vielleicht liegt es auch an der Kapelle, daß sie keine Lust zum Tanzen verspürt und ein so abweisendes Gesicht aufsetzt, daß sich kaum einer traut, sie aufzufordern. Zweimal hat sie schon einen Korb gegeben, da erkennt man schnell, daß eine nicht zum Tanzen aufgelegt ist, geschweige zu einem schnellen Flirt mit einer Bootsfahrt über den See, in dem sich der Mond spiegelt. Hat sie damit gerechnet, daß ihr Unbekannter sie doch noch überrascht, im weißen Hemd, im dunklen Anzug, und sie zum Tanz holt? Sie hätte dieses Kleid nicht anziehen sollen, das so gar nicht zu ihrer jetzigen Stimmung paßt. Sie geht an diesem Abend früh schlafen, ohne einen einzigen Tanz getanzt zu haben.

3

    Birke hat das Konto aufgeschlagen.
    Es ist ein sonderbares Konto.
    Es hat keine Namensbezeichnung, sondern läuft unter einer Chiffrenummer, Konto 112233.
    Es enthält nur wenige Buchungen. Es beginnt mit einer Einzahlung von 750 000 Mark, keine weitere Einzahlung folgt. Nur Abbuchungen, fünf Abbuchungen in den letzten beiden Jahren. Keine unter 40 000 Mark. Auch keine Zinszahlungen sind zu lesen. Spesen werden nicht berechnet. Eine Kündigungsfrist besteht nicht. Wenn der Kunde darauf besteht, kann er das ganze Konto auf einmal abheben. Als Privatentnahme, wie bisher.
    Was es doch für Menschen gibt! Aus ihren Sparbüchern hat sie ihren Bruder studieren lassen, von ihrem kleinen Gehalt bei der Bank zahlt sie ihrem Bruder jeden Monat fünfzig Mark, und wenn ein Wintermantel 180 Mark kostet, muß sie drei Monate darauf sparen. Und hier entnimmt einer — laßt mich nachzählen! — in zwei Jahren 230 000 Mark, ohne damit offensichtlich Häuser zu bauen oder wenigstens ein Dach reparieren zu lassen. Das Dach ihres kleinen Hauses in Birkenhain, wo Mutter lebt, fällt immer mehr zusammen. Es regnet bereits an drei Stellen herein, wie wird Mutter nur damit fertig? Sie hat eine winzige Rente. Wenn Birke ihr nicht gelegentlich aushilft, wie zu Weihnachten beispielsweise, mit dem 13. Gehalt, das ihr Birke jedes Jahr schickt — man kann nicht einmal im Sommer dort vermieten, die Möbel fehlen, die Betten, die Bettwäsche — nein, da ziehen die Fremden lieber in einen Gasthof.
    60 000 Mark Privatentnahme! Für ein Ehepaar wahrscheinlich, das geht aus dem Konto nicht hervor. Die Frau kann sich jedes Jahr einen neuen Pelz kaufen, einen Persianer, einen Breitschwanz, bei 60 000 Mark sogar einen Nerz — und wenn sie Kleider kauft, braucht sie nicht zu wählen und zu zögern, da nimmt sie drei oder vier auf einmal!
    Neulich hat Birke in einem Geschäft eine Handtasche aus Krokoleder gesehen. DM 1800,— stand darauf, und man kann doch auch nichts anderes hineintun als das Portemonnaie und den Lippenstift und den Hausschlüssel. Eine verrückte Welt! Genieren sich denn diese Leute nicht vor dem Briefträger, der ihnen übermorgen früh die 60 000 Mark im Hotel auf den Tisch blättert? Ja, richtig — so viel Geld auf eine Anweisung bringt der Briefträger ja gar nicht! Gut, daß sie noch rechtzeitig daran gedacht hat! Sie muß mehrere Anweisungen ausschreiben, die bringt dann der Briefträger auf einmal ins Regina-Palast-Hotel. Das sind so die sonderbaren Scherze bei der Post!
    Was gibt man dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher