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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss
Autoren: Jo Hanns Roesler
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wollen?«
    »Nicht ich. Ich bin bereits verheiratet. Seit dreißig Jahren.
    Aber ich könnte mir vorstellen, daß ein Mann, der Sie heiratet, das Große Los zieht.«
    »Haben Sie mit Ihrer Frau nicht das Große Los gezogen?«
    »Doch. Wenigstens einen Haupttreffer.«
    Er fügt hinzu:
    »Meine Frau ist sehr ruhig, sehr still.«
    Birke nimmt einen Apfel aus dem Papiersack und reibt ihn an ihrer Badejacke ab. Sie hält ihm den Apfel hin.
    »Mögen Sie?«
    Er lacht.
    »Warum lachen Sie?«
    »Ich heiße zufällig Adam.«
    »Ich bin aber nicht Eva. Sie können getrost den Apfel aus meiner Hand nehmen.«
    »Adam und Eva waren außerdem gleich alt.«
    Er nimmt den Apfel und beißt hinein.
    »Ein Klarapfel«, sagt er. Und auf ihren fragenden Blick:
    »Die Sorte heißt so. Das ist ein verbreiteter Sommerapfel. Ich habe einen Baum davon im Garten stehen. Wenn Sie wollen, kommen Sie mit, und ich pflücke Ihnen einen ganzen Korb.«
    Sie sagt ironisch:
    »Wie allerliebst! Und Ihre Frau kocht uns einen Kaffee und läßt uns allein!«
    »Warum sagen Sie so etwas?«
    »Ich habe eine gewisse Vorstellung von Männern, die junge Mädchen im Badeanzug ansprechen.«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Meine Frau und ich sind sehr allein. Zu uns verirrt sich selten ein Besuch.«
    »Nicht einmal zur Zeit der Apfelernte?«
    »Nicht einmal, wenn die Erdbeeren reif sind.«
    »Ein Paradies also?«
    »Das war es einmal. Jetzt nicht mehr. Und was das Haus betrifft, ich bin Schriftsteller. Ich habe das Haus aus meinen Honoraren erbaut. Sie können sich vorstellen, wie klein das Haus geworden ist. Nur der Garten ist groß.«
    »Schriftsteller? Was schreiben Sie?«
    »Dumme Geschichten. Von Hans und Grete. Es ist ein Beruf wie jeder andere. Die Stunde drei Mark, wenn man es umrechnet. Meine gute Saison ist zu Weihnachten. Da brauchen die Zeitungen viele Hans-und-Grete-Geschichten unter dem Weihnachtsbaum.«
    Es hat plötzlich zu regnen aufgehört.
    Irgendwo in der Ferne geht ein Gewitter nieder.
    Der Wind zieht durch den Wald.
    Birke fröstelt. Sie zieht ihre Jacke enger um sich.
    »Gehen Sie noch einmal ins Wasser?«
    »Ja. Um mich aufzuwärmen.«
    »Und dann?«
    »Ich muß in die Stadt zurück.«
    Sie läuft ins Wasser. Ruft:
    »Danke für den Schirm!«
    Er beutelt die Tropfen vom nassen Schirm.
    »Kommen Sie doch mit zu uns! Wir wohnen in der Nähe.«
    »Vielleicht ein andermal.«
    »Es sind noch Himbeeren am Strauch.«
    »Nächsten Sonntag!«
    »Nein, bitte heute!«
    Sie taucht unter und schwimmt ein Stück unter Wasser. Der Regen hat den See aufgewühlt, und neue Gewitterwolken machen den Himmel grünweiß. Birke schwimmt zum Ufer. Er läuft mit der Jacke auf sie zu und legt sie um ihre Schultern.
    »Ich muß Sie immer anschauen«, sagt er.
    »Genau das sollten Sie nicht.«
    Er schüttelt den Kopf. Sagt leise:
    »Sie gleichen meiner Tochter aufs Haar. Vorhin, als ich Sie zuerst von hinten erblickte, bildete ich mir eine Minute lang ein, es ist Klara. Sie ist auch immer zu diesem See gegangen, zu unserem See, wie wir ihn nennen. Als Kind und später als junges Mädchen.«
    »Sie ist verheiratet?«
    »Ja. Sie war unsere einzige. Wir haben damals, als sie geboren wurde, den Apfelbaum im Garten gepflanzt. Sie sind jetzt beide gleich alt.«
    »Mir ist kalt«, sagt Birke. »Ich will mich anziehen.«
    Sie läuft in das nahe Gebüsch hinein, in den niederen dichten Tannenwald. Während sie ihren Badeanzug abstreift, ruft sie:
    »Wie alt ist Ihre Tochter?«
    »Sechsundzwanzig.«
    »Genau wie ich.«
    »Wir hingen sehr an ihr. Wir waren immer zusammen. Bis zu ihrer Heirat vor drei Jahren.«
    »Besucht sie Sie öfters? Oder wohnt sie weit weg?«
    »Sehr weit«, sagt der Mann. »Sie ist heute vor zwei Jahren im Kindbett gestorben...«

    Das Ganze ist jetzt genau ein Jahr her. Seitdem ist Birke jeden Sommersonntag an den kleinen See zum Schwimmen gefahren und hat ihren Nachmittag bei den Schriftstellereheleuten verbracht. Es war ein kleines Haus, mit alten Möbeln eingerichtet, denen man den Gebrauch einer Generation ansah. Im Türstock des Wohnzimmers waren noch die Kerben eingeschnitten, wie ihr Kind Klara herangewachsen ist. Wie ein Versteck lag das Haus, fünfzehn Gehminuten vom Dorf entfernt, am Steinbruch vorbei. Man sah oft wochenlang keinen Menschen, nur der Briefträger kam jeden Tag, aber er war schwerhörig und immer ein wenig betrunken.
    Nein, mit dem einfach gebauten Haus war kein Staat zu machen, aber was für ein Garten schloß das Haus ein!
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