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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss
Autoren: Jo Hanns Roesler
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Selbstbedienung, help yourself , aber wozu brauche ich dann so reiche Pracht und so vornehme Gräfinnen hinter der Theke?
    Die Straße, auf der ich stehe und die Schaufenster betrachte, ist unsere Prachtstraße. Sie durchzieht die Stadt vom Norden zum Süden und ist angereichert mit Filmpalästen, Banken, Juwelieren, Herrenausstattern, Hemdenschneidern, Maßschustern, Delikatessenläden mit offenen Scheiben und Kaffeehäusern. Man sitzt vor den Espressos an kleinen Tischen auf der Straße und lästert über die Leute, die vorübergehen. Unsere Via Veneto.
    Ich gehe weiter und finde beim Herrenausstatter Biebl einen Mantel in der Auslage. Es ist ein Damenmantel, interessanterweise. Das sind so die kleinen Tricks des Herrenschneiders Biebl. Wenn die Männer ihre Frauen zur Anprobe mitbringen, sitzt das Geld, das er ihnen lockergemacht hat, sowieso nicht mehr fest. Die begleitende Ehefrau braucht nicht erst zu sagen: »Wo bleibe ich, mein Schatz?« Da sagt schon der Herrenschneider Biebl: »In diesem Anzug, Herr Konsul — dazu dieser Traummantel für die gnädige Frau!« So einer ist das, der Herrenausstatter Biebl! Er versteht sein Geschäft, alles immer en passant, die Ehefrauen kommen gern mit zur Anprobe. Die anderen übrigens auch, die nichtlegitimen. Der Herrenausstatter versteht sich auf Frauen. Er hat schon die dritte legitime, andere nie. Wenn er nicht verheiratet ist, schneidet er für sich Anzüge zu. Dann sieht er darin so gut aus, hager, einsdreiundneunzig groß, ein Kopf wie Cäsar, daß alle Frauen sofort den Hang zum Legitimen verspüren, und schon klappt die Falle zu. Dann läuft unser Herrenausstatter drei Jahre in den gleichen Anzügen und die Frau jedes Jahr in einem neuen Pelz. Man kann an Biebls Anzügen ablesen, wie lange er jeweils verheiratet ist.
    Im zweiten Fenster liegt ein Mantel in meiner Größe. Der Mantel erinnert mich an Birke. Man muß erst dreimal hinsehen, ehe man erkennt, wie schön der Mantel und wie gediegen er verarbeitet ist. Alles mit der Hand genäht, der Stoff von einem grauen Braun, Kamelhaar, die Knöpfe verdeckt; beim flüchtigen Betrachten gleicht der Mantel einem Allerweltsmantel. Er macht wenig her, wie man gern sagt.
    Genau wie Birke, das junge Mädchen, das nebenan in einer Bank arbeitet. Birke ist kein Mädchen, nach dem man sich umdreht. Es finden sich auch wenig Burschen, die auf dem Fuß kehrtmachen und ihr mit einem lustigen Lied im Herzen nachmarschieren. Groß und schlank gewachsen, und was sofort bei ihr auffällt: zwei verschiedene Augen, ein braunes und ein grünes. Das ist das Eigenartige an ihr. Und wenn man schon einmal in ihr Gesicht vertieft ist, findet man alles von schönster Vollkommenheit, einzeln betrachtet: eine fröhliche Nase ohne Fehler, mit zwei Sommersprossen genau auf dem Nasenrücken, wie ein Doppelpunkt zu dem Satz: »Wem ich nicht gefalle, der laß es bleiben!« Ober der Nase wölbt sich eine hohe steile Stirn, junge Mädchen aus Schweden haben oft so eine Stirn und tragen das Haar auch so, und dann zwei kleine enganliegende Ohren, durchsichtig hell wie rosafarbene Korallen. Aber auch hier muß man erst genau hinsehen, ehe einem die Schönheit dieser Ohren aufgeht. Wenn man aber diese Schönheit einmal begriffen hat, weiß man im gleichen Augenblick das Geheimnis dieser Ohren: daß sie sich vor häßlichen Worten verschließen. Wenn man dann mit seinen bewundernden Blicken weiterwandert, über Wangen, Mund und Hals, hat man die Ohren längst vergessen und ist von ihrem Mund so entzückt, daß es einem den Atem verschlägt. Ich habe selten schönere Lippen und Zähne gesehen, und ich habe viele betrachtet in der Lust meiner Jugend und in der Kraft meines Mannesalters. Von einem Mädchen, das nun so aussieht, müßte man doch annehmen, daß jeder Mann sofort kehrtmacht, um ihr bis ans Ende seines Lebens zu folgen... aber in ihrer Gesamtheit wirkt Birke nicht anders als der Mantel im Fenster des Herrenausstatters in der Residenzstraße. Man muß erst dreimal hinschauen, wie vollendet der Mantel verarbeitet ist, und dann schüttelt man noch den Kopf über den hohen Preis, den sie für ihn verlangen: 20 Silbermünzen in der heutigen Währung. Er blieb darum auch lange Zeit im Fenster liegen, ohne einen Käufer zu finden, weil er eben nichts hermachte. Wer sich einen neuen Mantel kauft, will doch zeigen, daß er einen neuen Mantel hat. Mit Mädchen ist es dasselbe. Die Eitelkeit spielt bei den Männern eine mächtige Rolle, wenn einer ein
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