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Geh aus, mein Herz

Geh aus, mein Herz

Titel: Geh aus, mein Herz
Autoren: Ake Edwardson
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schmalen Streifen Licht am Horizont zu.
     
    Jonathan Wide nahm das Bierglas entgegen, ließ es aber stehen. Die Bar füllte sich langsam, es war die gewohnte Zeit. Er wusste es genau, und das wäre ein guter Grund gewesen, nicht hier zu sitzen. Hier hatte er zu oft gesessen.
    »Ich sitze hier zu oft.«
    Wim Shaeffer beugte sich über die Theke. Er war der Restaurantbesitzer, ein alter Freund, schwul, groß, gut in Form.
    »Warum solltest du das Muster durchbrechen?«
    »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    »Das Verhaltensmuster geschiedener Männer. Sie hängen an Bartheken herum, jedenfalls die einigermaßen geselligen Typen.«
    »Gesellig würde ich mich nicht gerade nennen.«
    »Noch zwei Bier und du bist schon ein bisschen geselliger. Aber trink sie nicht.«
    »Eine interessante Empfehlung von einem Barbesitzer.«
    Shaeffer füllte zwei große Biergläser für einen Mann am anderen Ende der Bar und kam zu Wide zurück.
    »Dein Fehler ist, dass du nicht loslassen kannst. Jetzt könntest du doch anfangen, darüber nachzudenken, was für ein Leben du künftig führen willst. Es gibt ein Leben nach diesem.«
    »Ich weiß.«
    »Schau dich an: fleckige Jeans, immer nur in T-Shirt und zerknittertem Hemd und dazu schmutzige Boots. Das Einzige, was an dir schön ist, sind deine Drei-Tage-Stoppeln.«
    »Ich hab mir einen neuen Anzug gekauft.«
    »Das reicht nicht. Hier geht es um die Einstellung. Die kommt von innen.«
    »Was für ein scheißblödes Gerede.«
    »Dieser Masochismus, den du pflegst, schadet auf die Dauer nur. Der ist kontraproduktiv. Damit wird man lächerlich.«
    »Masochismus? Ausgerechnet du musst von Masochismus reden, du verwirrtes armes Würstchen! Was bedeutet der Pferdeschwanz? Der Ring im Ohr? Zur Schau gestellte Haare auf der Brust? Ha, ha.«
    »Wie gesagt, es geht um die Einstellung. Kein Mensch kann sein Leben in den Griff bekommen, wenn er ständig zu Hause hockt, Puccini hört, trinkt und leidet.«
    »Ich sitze doch hier und trotzdem leide ich. Das ist nicht weiter verwunderlich, jedenfalls nicht im Augenblick.«
    »Irgendwann musst du dich entscheiden. Such dir eine Frau. Werde wieder Polizist. Trink weniger. Hör weniger Puccini.«
    »Ich höre mir Puccini nur an, wenn ich froh bin.«
    »Steht es schon so schlecht um dich?«
    »Ja.«
    »Du bist wie ein Held von Norman Mailer. Taffe Jungs tanzen nicht. Haben Manieren aus der Steinzeit. Taffe Jungs essen keine Quiches.«
    »Doch, Quiches esse ich.«
    »Aber du tanzt nicht.«
    »Wenn sich die richtige Gelegenheit ergibt …«
    Shaeffer mixte einen Gin Tonic für eine Frau in Schwarz; sie zahlte und kehrte zu einer schweigenden Gesellschaft an einem der Fenstertische zurück.
    »Ich glaube auch, dass du ein bisschen zu viel liest, Wide. Gerade in dieser Situation ist das nicht gut für dich. Trinken und Lesen in der Einsamkeit, dabei kommt man auf komische Gedanken. Hast du Sam Shepard gelesen?«
    »Natürlich.«
    »Sieh einer an. Dein Gehirn füllt sich mit Einsamkeit. Der Mann, der tun muss, was ein Mann tun muss – auch wenn das keinen Deut wert ist. Solche Mythen finden leicht Nahrung bei deinem Zustand.«
    »Was empfiehlst du mir?«
    »Wie gesagt: eine gute Frau. Vor allem das. Normalerweise bin ich vielleicht nicht gerade der Richtige, um dir das vorzuschlagen, aber im Augenblick bin ich es wohl.«
    Wide kam nachts nach Hause, stand lange mit dem Schlüssel in der Hand da und suchte nach dem Schlüsselloch und kapierte, dass er zu viel getrunken hatte. Er stolperte über die Rolle mit Abdeckpappe, die im Flur gegen die Wand gelehnt stand, entkleidete sich mit ein paar Handgriffen, ging ins Bad und leerte seine Blase mit schwer hängendem Kopf.
     
    Er wurde im Dunkeln wach, der Regen hatte ihn lange schlafen lassen. Frühstück, ein relativer Begriff: Pulverkaffee mit viel Milch, eine Scheibe Knäckebrot, Käse – aber nach zwei Bissen brach er die Mahlzeit ab. Er trank ein Glas Saft, spülte sorgfältig das Geschirr von vier Tagen und fand Linderung in der Arbeit; jemand, der einen Kater hat, findet immer Linderung in der Arbeit. Er duschte, rasierte sich so hautnah, wie er sich traute, und schnitt sich dabei in die Wange; doch er ließ das dünne Blutrinnsal zum Hals hinunterlaufen, bis er fertig war. Er hob seine Hand, in der er den Rasierapparat hielt, und sah, dass sie leicht zitterte. In einem Auge hatte er einen kleinen Bluterguss; er hatte keine Kraft festzustellen, in welchem, und wandte sich vom Spiegel ab.
    Wide sortierte
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