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Geh aus, mein Herz

Geh aus, mein Herz

Titel: Geh aus, mein Herz
Autoren: Ake Edwardson
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Aussehen, Schuhgröße, wie sie an dem Tag gekleidet war, ihre Interessen, alles. Er hatte versucht, nichts auszulassen.
    »In welcher Stimmung war sie?«
    »Wie bitte?«
    »Wie war sie gelaunt, wie ging es ihr? Woran hat sie häufig gedacht, hat sie viel gegrübelt?«
    »Das sind Bullenfragen, Schuldfragen.«
    »Ich bin Bulle gewesen.«
    »Da gibt es nichts zu berichten. Wir waren … äh, vielleicht nicht die glücklichsten Menschen auf der Welt, aber das Schicksal teilt man mit neunundneunzig Komma neun Prozent der Weltbevölkerung. Das hat uns also keine Sorgen bereitet.«
    »Nichts Ungewöhnliches in den letzten Tagen vor ihrem Verschwinden? Ist nichts passiert? Mit der Verwandtschaft vielleicht? Hat sie was gelesen, im Fernsehen gesehen? Wenn ich den Job annehme, möchte ich, dass Sie von jetzt an darüber nachdenken. Sie können mich jederzeit anrufen. Sie können auch faxen oder mailen.«
    »Klar. Wollen Sie nicht auch fragen, ob sie einen Todfeind hat?«
    »Haben Sie beide Todfeinde?«
    »Das war eigentlich mehr als Scherz gemeint.«
    »Also – Feinde?«
    »Nein.«
    »Freunde?«
    Er sah, wie sich das Gesicht des Mannes veränderte, als ob seine Frage einen Nerv berührt hätte, der jetzt die Haut um die Augen zusammenzog.
    »Warum fragen Sie das?«
    »Ist das eine so abwegige Frage?«
    »Das hat doch nichts mit dieser Sache zu tun.«
    Wide ließ es. Wenn es wichtig war, würde er es herausfinden. Er konnte warten.
    »Sie müssten mir trotzdem ein paar Namen nennen, Kollegen und dergleichen.«
    »Ein Name steht in den Papieren, der eines Arbeitskollegen.«
    Wide überflog die drei Seiten. Sie beschäftigte sich also mit Archivierung. Er las ein wenig und legte die Papiere dann beiseite. Später würde er sie genauer studieren.
    »Die Bibliothek ist eine große Institution.«
    »Ja.«
    »Hat sie sich dort wohl gefühlt?«
    »Ja.«
    Er fragte nach dem Arbeitsweg. Er wusste, dass er den Auftrag annehmen würde, aber er wusste ebenso, dass er nicht viel tun konnte, und das sagte er auch.
    »Eine Alternative, ich hab ja gesagt, ich will eine Alternative ausprobieren. So viel weiß ich über Sie, dass Sie erfahren sind.«
    Wide betrachtete das Foto. Die Frau war vielleicht fünfunddreißig oder vierzig. Ihm fiel es immer schwer, das Alter von Frauen zu schätzen. Dies war das neueste Foto, das Anders Torstensson von ihr besaß; das Datum stand auf der Rückseite, und ja, sie war sechsunddreißig, als es aufgenommen wurde. Sie lächelte unsicher und ein wenig nervös wie manche Menschen, wenn sie keine Lust zu lächeln haben. Ihm fiel auf, dass sie nicht direkt in die Kamera schaute, sondern mehr nach links am Fotografen vorbei. Vielleicht zu Anders Torstensson, der dort gestanden hatte. Ihre Haare sahen frisch gelegt aus, wie nach einem Friseurbesuch. Sie trug ein hübsches Medaillon, ganz oben am Hals. Sie hatte einen scharfen Zug um den Mund, der nicht zu der Unruhe in ihren Augen passte.
    Als Jonathan Wide mit dem braunen Kuvert unterm Arm durch den Schlosswald nach Hause ging, dachte er über das Gesicht nach, diese unbestimmten Züge, die ihm am Sonntag im Botanischen Garten begegnet waren … Auch gestern hatte er kurz daran gedacht. Er war etwas irritiert, weil ihm Name, Ort und Zeit zu diesem Gesicht einfach nicht einfallen wollten. Warum dachte er eigentlich darüber nach? Irgendwo gab es wohl eine Antwort, einen Grund. Oder auch nicht. Auf der Höhe von Plikta wurden seine Gedanken von Kindergeschrei abgelenkt. Der Spielplatz war voll, und Wide blieb lange stehen und schaute einem kleinen Mädchen beim Schaukeln zu. Auf einer Bank daneben saß eine Frau und musterte ihn eindringlich.
     
    Betsy war ein feiner Hund. Sie lief gerne frei, schnüffelte herum, stürmte hierhin und dahin, und es kümmerte sie wenig, dass sie kein Welpe mehr war.
    Von hier aus war sie herrlich anzusehen, und es war ein herrliches Gefühl, Frauchen zu sein und einen temperamentvollen Hund zu haben. Es war ein prachtvoller Tag, ein wenig kalt, fast ohne Regen. Sie liebte es, wenn die Farben sich für die Winterruhe gewissermaßen in sich selbst verkrochen. Wenn sie Augen und Ohren schloss, konnte sie das Brausen vom Götaplatsen nicht mehr hören, sah sie nicht mehr die Universitätsgebäude dort hinten. Sie rief: »Betsy« und dann noch einmal: »Betsy«, aber die kam nicht. Sie sah den Hund ein Stück oberhalb in der Schlucht stöbern.
    Sie umrundete den Teich und rief weiter. Betsy sah auf und kam ein Stück auf sie
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