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Gefährliche Praxis

Gefährliche Praxis

Titel: Gefährliche Praxis
Autoren: Amanda Cross
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Was mochte diese Janet Harrison wohl angestellt haben? Hatten die vor, ihre Labilität unter Beweis zu stellen? Wirklich, dieser lakonische Polizist war höchst anstrengend.
    »Captain Stern, während die Studenten hier ihre Vorlesungen besuchen, geht ihr Leben weiter. Die meisten von ihnen leben nicht isoliert in Wohnheimen, sind nicht frei vom Druck ihrer Familien, von finanziellem Druck und von emotionalen Problemen aller Art. Sie sind in einem Alter, in dem sie, wenn sie nicht verheiratet sind – und das bringt wieder seine eigenen Probleme mit sich –, an der Liebe leiden oder an deren Mangel. Sie gehen mit jemandem ins Bett, den sie lieben – ein emotionaler Zustand –, oder sie gehen mit jemandem ins Bett, den sie nicht lieben – ein anderer Zustand –, oder sie gehen mit niemandem ins Bett, das wäre noch ein anderer. Manchmal sind sie farbig, oder sie sind die unreligiösen Kinder religiöser Eltern oder die religiösen Kinder unreligiöser Eltern. Manchmal sind es Frauen, die zwischen ihren intellektuellen Bedürfnissen und der Familie hin und her gerissen sind. Oft stecken sie in Schwierigkeiten der einen oder anderen Art. Als Lehrer erfahren wir wenig von diesen Dingen, und wenn wir einmal etwas davon aufschnappen, dann spielen wir – wie soll ich es ausdrucken? – nicht den Priester, sondern die Kirche: Wir sind einfach da und machen weiter. Wir repräsentieren etwas, das fortbesteht – die Kunst, die Wissenschaft, die Geschichte. Natürlich haben wir auch ab und zu mal einen Studenten, der mit jedem Atemzug etwas von sich erzählt. Aber in den meisten Fällen erhalten wir nur einen ganz allgemeinen Eindruck, abgesehen natürlich von den eigentlichen Arbeiten der Studenten.«
    »Sie fragen«, fuhr sie fort, »was für eine Art Mädchen Janet Harrison war? Ich erzähle Ihnen dies alles, damit Sie meine Antwort verstehen. Ich habe nur einen Eindruck von ihr. Wenn Sie fragen: War sie der Typ, der eine Bank überfällt? würde ich sagen: Nein, der Typ schien sie nicht zu sein, aber ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen sagen könnte, warum. Sie war eine intelligente Studentin, ein gutes Stück über dem Durchschnitt. Ich hatte den Eindruck, sie wäre fähig, exzellente Arbeit zu leisten, wenn sie sich darauf konzentrierte, aber das hat sie nie getan. Es war, als wäre ein Teil von ihr immer abwesend und wartete ab, was wohl passieren würde. Nur, wissen Sie«, fügte Kate hinzu, »bevor Sie mich danach gefragt haben, habe ich auf die Art noch nie über sie nachgedacht.«
    »Hatten Sie irgendeine Vorstellung, warum sie einen Psychoanalytiker aufsuchen wollte?«
    »Nein, keine. Die Leute wenden sich heutzutage an einen Analytiker, wie sie sich früher an – ja, an wen? – an Gott, an ihren Pastor, an ihre Familie wandten. Ich erhebe nicht den Anspruch, ich wüßte da Bescheid. Ich habe Leute davon reden hören, wenn auch nur halb im Scherz, daß Eltern heute für die Analyse ihrer Kinder sparen wie früher für deren College-Erziehung. Ein junger Mensch, der sich in intellektuellen Kreisen bewegt, wendet sich heutzutage, wenn er ein Problem hat, an die Psychiatrie, und häufig werden ihm die Eltern dabei helfen, wenn sie können.«
    »Und ein Psychiater, ein Psychoanalytiker akzeptiert jeden Patienten, der zu ihm kommt?«
    »Natürlich nicht«, sagte Kate. »Aber Sie sind doch sicher nicht hergekommen, um von mir etwas über diese Dinge zu erfahren. Da gibt es eine ganze Reihe kompetenterer Leute…«
    »Sie haben dieses Mädchen zu einem Psychoanalytiker geschickt, und er hat sie als Patientin angenommen. Von Ihnen würde ich jetzt gerne erfahren, warum Sie annahmen, daß sie zu einem Analytiker gehen sollte, und warum Sie annahmen, daß dieser Analytiker sie auch nehmen würde.«
    »Das hier ist meine Sprechstunde«, sagte Kate. Nicht daß es ihr an diesem Apriltag etwas ausgemacht hätte, auf die Studenten zu verzichten (»Ich bin Student auf Probe bei Ihnen, Professor Fansler, und wenn ich nicht die Note B in Ihrem Seminar bekomme…«), aber wenn sie an die Studenten dachte, die draußen auf der Bank geduldig warteten und inzwischen schon dicht an dicht saßen… Doch Captain Stern hatte offenbar keine Bedenken, sich vorzudrängen. Vielleicht sollte sie Captain Stern zu Emanuel schicken. Plötzlich erschien ihr der Gedanke, an einem Frühlingstag in ihrem Büro zu sitzen und mit einem Kriminalbeamten über Psychiatrie zu diskutieren, vollkommen lächerlich. »Also, Captain Stern«, sagte sie,
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