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Gefährliche Praxis

Gefährliche Praxis

Titel: Gefährliche Praxis
Autoren: Amanda Cross
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erwartete, der April sorgte für Überraschungen.
    Auf der Bank vor Kates Büro saßen Studenten, die auf ihre Sprechstunde warteten. Auch das war ein Symptom des Frühlings. Die guten Studenten verschwanden entweder vollkommen vom Campus, oder sie tauchten zu den seltsamsten Zeiten auf und wollten höchst absonderliche Gesichtspunkte einer Interpretation diskutieren. Die mittelmäßigen, vor allem die ärmeren unter ihnen, fingen an, sich um ihre Noten Gedanken zu machen. Der April rührte düstere Gedanken auf und erinnerte sie daran, daß die Zeit der Notengebung nahte und die B-Note, die sie sich voller Selbstvertrauen zum Ziel gesetzt hatten, unendlich weit entfernt war. Die saßen jetzt hier, um mit ihr darüber zu reden. Kate seufzte, als sie die Tür zu ihrem Büro aufschloß, hielt dann aber inne, überrascht und ärgerlich. Ein Mann stand am Fenster und wandte sich um, als sie eintrat.
    »Bitte, kommen Sie herein, Miss Fansler. Vielleicht sollte ich Frau Doktor sagen oder Professor; ich bin Captain Stern von der Kriminalpolizei. Ich habe der Sekretärin draußen im Vorzimmer meinen Ausweis gezeigt, und sie hat mir vorgeschlagen, ich sollte vielleicht besser hier drinnen warten. Sie war so freundlich, mich hereinzulassen. Ich habe nichts durcheinandergebracht. Wollen Sie sich nicht setzen?«
    »Ich versichere Ihnen, Captain«, sagte Kate und setzte sich an ihren Schreibtisch, »ich weiß nur sehr wenig über das Privatleben meiner Studenten. Ist einer von ihnen in Schwierigkeiten?« Sie sah den Kriminalbeamten mit Interesse an. Als leidenschaftliche Leserin von Kriminalromanen wurde sie nie den Verdacht los, daß Detektive im wirklichen Leben ganz schrecklich normale Menschen waren, von der Sorte, die zwar mit den kurzen Antworten bei ihren Verhören gut zurechtkamen (zumal sich bei den Niederschriften dann noch einiges korrigieren ließ), komplexe Gedanken, ob literarische oder andere, aber als Belästigung empfanden; von der Sorte, die harte Fakten liebten und auf das Bedürfnis nach Differenzierungen mit Abscheu reagierten.
    »Wären Sie wohl so freundlich, Miss Fansler, mir zu sagen, was Sie gestern bis zwölf Uhr mittags getan haben?«
    »Was ich getan habe? Also wirklich, Captain Stern, ich versichere Ihnen nachdrücklich, daß…«
    »Bitte, seien Sie so freundlich und beantworten Sie nur meine Frage, Miss Fansler. Meine Gründe werde ich Ihnen sofort erklären. Also, gestern morgen.«
    Kate starrte ihn an und zuckte dann mit den Schultern. Wie es die unglückliche Angewohnheit von Leuten ist, die mit Literatur zu tun haben, stellte sie sich schon vor, wie sie dieses außergewöhnliche Ereignis weitererzählen würde. Sie fing den Blick des Kriminalbeamten auf und griff nach einer Zigarette. Er gab ihr Feuer und wartete geduldig. »Donnerstags halte ich keine Vorlesungen«, sagte sie. »Ich schreibe an einem Buch, und ich habe gestern den ganzen Vormittag im Magazin der Bibliothek verbracht und Artikel aus Zeitungen des neunzehnten Jahrhunderts zusammengesucht. Ich war dort bis kurz vor eins, habe mich dann frisch gemacht und mit Professor Popper zum Lunch getroffen. Wir haben im Club der Fakultät gegessen.«
    »Leben Sie allein, Miss Fansler?«
    »Ja.«
    »Wann kamen Sie in Ihrem ›Magazin‹ an?«
    »Dieses Magazin, Captain Stern, bezeichnet den inneren Bereich der Bibliothek, in dem die Bücher aufbewahrt werden.« Wieso, fragte sie sich, fühlen sich Frauen eigentlich immer unangenehm berührt, wenn man sie fragt, ob sie allein leben? »Ich habe die Bibliothek gegen neun Uhr dreißig betreten.«
    »Hat Sie irgend jemand im Magazin gesehen?«
    »Jemand, der mir ein ›Alibi‹ geben könnte? Nein. Ich habe mir die Bände herausgesucht, die ich brauchte, und an den kleinen Tischen gearbeitet, die für den Zweck an der Wand aufgestellt sind. Verschiedene Leute müssen mich dort gesehen haben, aber ob sie mich erkannt haben oder sich an mich erinnern, das kann ich Ihnen nicht sagen.«
    »Haben Sie eine Studentin namens Janet Harrison?« In Büchern, dachte Kate, gingen Kriminalisten immer voller Enthusiasmus an ihre Arbeit, fast wie Ritter bei ihren Kreuzzügen. Aber wirklich klargemacht hatte sie sich bisher nicht, mit welchem Eifer sie tatsächlich an ihre Arbeit gingen. Gelegentlich waren sie natürlich verwandt mit den Angeklagten oder den Ermordeten oder in sie verliebt, doch ob sie nun ihre Ermittlungen beruflich führten oder als Amateurdetektive, sie waren mit großer Leidenschaft bei der
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