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Gefährliche Praxis

Gefährliche Praxis

Titel: Gefährliche Praxis
Autoren: Amanda Cross
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Sache. Kate fragte sich, an welchen Dingen Captain Stern wohl sonst Interesse hatte, wenn überhaupt. Könnte sie ihn fragen, ob er allein lebe? Sicher nicht. »Janet Harrison? Sie gehörte zu meinen Studentinnen. Ich meine, sie hatte eine meiner Vorlesungen belegt, über den Roman im neunzehnten Jahrhundert. Das war im letzten Semester. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.« Kate dachte sehnsüchtig an Lord Peter Wimsey; der hätte an dieser Stelle jetzt sicherlich innegehalten und mit ihr ein Gespräch über den Roman im neunzehnten Jahrhundert angefangen. Captain Stern schien davon noch nie gehört zu haben.
    »Haben Sie ihr empfohlen, sich an einen Psychoanalytiker zu wenden?«
    »Großer Gott«, sagte Kate, »ist es das, worum es hier geht? Bestimmt überprüft die Polizei nicht alle Leute, die eine Analyse machen. Ich habe ihr nicht ›empfohlen‹, einen Psychoanalytiker aufzusuchen; ich fände es unpassend, so etwas zu tun. Als sie zu mir kam, hatte sie den Entschluß bereits gefaßt oder zumindest den Rat bekommen, zu einem zu gehen. Sie fragte mich, ob ich ihr jemanden empfehlen könne, denn sie hatte gehört, wie wichtig es sei, einen wirklich kompetenten Menschen zu finden. Jetzt, wo Sie das erwähnen, weiß ich nicht einmal genau, warum sie damit zu mir kam. Ich vermute, wir nehmen nur allzugern an, daß man uns als Monumente von Klugheit und natürliche Autoritäten auf den meisten Gebieten des Lebens betrachtet.«
    Captain Sterns Miene zeigte kein bestätigendes Lächeln. »Haben Sie ihr also einen Psychoanalytiker empfohlen?«
    »Ja, das habe ich tatsächlich.«
    »Wie heißt der Analytiker, den Sie empfohlen haben?«
    Kate wurde plötzlich ärgerlich. Ein Blick aus dem Fenster, wo der April überall Begehren in den Menschen weckte, trug auch nicht dazu bei, ihre Stimmung zu verbessern. Sie wandte sich vom Campus ab und richtete den Blick auf den Kriminalbeamten, den der April nicht anzurühren schien. Zweifellos waren für ihn alle Monate von gleicher Grausamkeit. Worum auch immer es sich hier handeln mochte – und ihre Neugier war einem ziemlichen Ärger gewichen –, hatte es irgendeinen Sinn, Emanuel da hineinzuziehen?
    »Captain Stern«, fragte sie, »bin ich verpflichtet, diese Frage zu beantworten? Ich bin mir gar nicht sicher, was meine Rechte angeht, aber müßte man mich nicht darauf hinweisen oder mir sagen, worum es überhaupt geht, wenn ich schon verpflichtet wäre, auf Ihre Fragen zu antworten? Würde es vorerst genügen, wenn ich Ihnen versichere (obwohl ich es nicht beweisen kann), daß ich gestern vormittag bis ein Uhr mit keinem einzigen menschlichen Wesen außer Thomas Carlyle zu tun hatte, dessen Tod vor mehr als einem halben Jahrhundert allerdings ausschließt, daß ich damit etwas zu tun haben könnte?«
    Captain Stern nahm das nicht zur Kenntnis. »Sie sagen, Sie hätten Janet Harrison einen Psychoanalytiker empfohlen. War sie mit ihm zufrieden? Hatte sie vor, die Behandlung bei ihm länger fortzusetzen?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Kate und spürte so etwas wie Scham über ihren sarkastischen Ausbruch, »ich weiß nicht einmal, ob sie zu ihm gegangen ist. Ich habe ihr Namen, Adresse und Telefonnummer gegeben. Ihm gegenüber habe ich die Sache erwähnt. Von dem Augenblick an habe ich das Mädchen nicht mehr gesehen und auch keine Sekunde mehr an sie gedacht.«
    »Gewiß hätte der Analytiker es Ihnen gegenüber erwähnt, wenn er sie als Patientin angenommen hätte. Vor allem«, fügte Captain Stern hinzu und zeigte damit zum erstenmal, daß er schon einiges wußte, »wenn er ein guter Freund von Ihnen war.«
    Kate starrte ihn an. Zumindest, dachte sie, spielen wir hier kein sinnloses Fragespiel. »Ich kann Sie natürlich nicht zwingen, das zu glauben, aber er hat es tatsächlich nicht erwähnt, und ein erstklassiger Analytiker täte das auch nicht, besonders dann nicht, wenn ich ihn gar nicht gefragt habe. Der Mann, von dem wir reden, ist Mitglied des New Yorker Instituts für Psychoanalyse, und es verstößt gegen deren Grundsätze, über einen Patienten zu sprechen. Das mag Ihnen befremdlich vorkommen, ist aber doch die schlichte Wahrheit.«
    »Was für eine Art Mädchen war Janet Harrison?«
    Kate lehnte sich in ihrem Sessel zurück und versuchte, die Intelligenz des Mannes einzuschätzen. Als Lehrerin am College hatte sie gelernt, daß man verfälscht, wenn man allzusehr vereinfacht. Es gab nur eine Möglichkeit: das, was man meinte, auch möglichst klar zu sagen.
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